DIE NEUTRALITÄT SOLL UNS BEI KRIEGEN SCHÜTZEN
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Das ist der verständliche Wunsch der Bevölkerung. Sie hat in einem Krieg das größte Leid zu tragen. Sie ist der eigentliche Verlierer im Krieg.
Nun greifen im Allgemeinen einzelne kleine Länder viel größere und stärkere Länder nicht an. In der Regel kommt der Krieg als das Werk von Allianzen oder als Überfall der Großen auf die Kleinen zustande.
Daher ist es nützlich, sich das Schicksal der Neutralen in den beiden Weltkriegen anzuschauen. Es muß dabei zwischen neutral in einem Konflikt und immer währender Neutralität unterschieden werden.
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Im Ersten Weltkrieg wurden die neutralen Länder Belgien und Luxemburg überfallen und auch Persien wurde trotz Erklärung der Neutralität in den Krieg einbezogen. Der Zweite Weltkrieg begann im September 1939 mit dem gemeinsamen Überfall von Hitler und Stalin auf Polen. Im November 1939 überfiel die Sowjetunion Finnland trotz dessen strikter Neutralität gegenüber der Sowjetunion - seit 1933 gab es einen internationalen Nichtangriffspakt zwischen den beiden Ländern. Im Mai 1940 griff Nazideutschland die neutralen Länder Belgien, Holland und Luxemburg an. Die neutrale Schweiz blieb in beiden Weltkriegen unbesetzt.
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Der Blick in die Geschichte zeigt :
Ob neutrale Länder sich aus einem Krieg heraus halten können, hängt letztlich von den Zielen und Möglichkeiten des potentiellen Aggressors ab. Sind die Vorteile eines Angriffes groß genug, dann rettet einen auch keine international anerkannte Neutralität. Sie ist bei der Vermeidung des Krieges manchmal eine Hilfe, aber niemals der entscheidende Faktor.
Die beiden ehemals neutralen Länder Finnland und Schweden haben ihre Lehren aus der Geschichte gezogen und sind nun der Nato beigetreten.
Auch die Schweiz zieht die Lehren aus ihrer erfolgreichen Neutralität in beiden Weltkriegen. Ihre Unversehrtheit verdankte sie damals einer ernsthaften Rüstung, einer günstigen militärstrategischen Lage und dem Umstand, dass ihre Existenz auch für die führenden Nazis günstig war. Kein großes Problem wären die Standorte der Internationalen Organisationen für Aggressoren gewesen : Sie lassen sich wie riesige Atomkraftwerke unter Internationale Verwaltung stellen.
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Nun sucht auch die Schweiz nach Zusammenarbeit im Rüstungsbereich mit anderen Staaten. Sie muß ja deshalb nicht einem Militärpakt beitreten.
Die Ukraine war, was viele nicht wissen, von 1990 bis Anfang 2019 neutral - auch Russland gegenüber. Das ukrainische Parlament formulierte damals in einer Erklärung sein Streben nach dauerhafter Neutralität, keine Teilnahme an Militärblöcken und die Ablehnung eigener Atomwaffen. Das Budapester Memorandum von 1994 war in gewisser Hinsicht eine internationale Bestätigung dieser Absichten. Erst unter dem Eindruck der beginnenden Angriffe Russlands ab 2014 wurde im Jahr 2019 in einem Verfassungszusatz der Wunsch nach Beitritt zu EU und NATO formuliert.
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Es kann sinnvoll sein, in einem einzelnen Konflikt neutral zu bleiben. Das Konzept der immer währenden Neutralität beinhaltet aber auch eine grundsätzliche Schwäche. Was sollen Neutrale tun, wenn dem Opfer die Überwältigung durch Aggressoren droht? Zuschauend protestieren - die Nichteinmischung nützt dem Aggressor!
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Brechen wir das Problem zur Verdeutlichung auf die Praxis herunter :
Hätten Frankreich und England nicht in den Krieg gegen Hitler zur Rettung Polens eintreten, sondern in dem Krieg neutral bleiben sollen?
Hätten die USA ihre isolationistische - faktisch neutrale - Politik der Dreissigerjahre in Bezug auf Europa gegen Hitler auch ab 1940 fortführen sollen? Oder war es richtig, auch vor ihrem Kriegseintritt, die von Hitler Angegriffenen militärwirtschaftlich zu unterstützen?
Auch die Sowjetunion wurde am 7. November 1941 (also vor dem Kriegseintritt der USA gegen Hitler) in das Lend-Lease-Programm einbezogen.
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Die Friedensbewegung hat ein ganz wichtiges Argument : jede Beteiligung am Krieg führt zu großem Leid und unzähligen Toten. Aber wie die Geschichte zeigt : Ein rechtzeitiges militärisches Eingreifen auf der Seite der Angegriffenen kann einen großen Krieg verkürzen, insofern die Opfer minimieren und schließlich den Aggressor niederringen.
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Eine Friedenspolitik ist immer notwendig, gerade auch in Zeiten wachsender und sich verschärfender internationaler Konflikte. Feindschaften mindern, Spannungen entschärfen, Abrüstung fördern, gewaltfreie Kompromisse finden, das alles muß auch gerade jetzt angestrebt werden.
Doch wenn ein Staat den Weg der militärischen Aggression einmal gewählt hat, wenn er den Krieg tatsächlich beginnt, dann kann die militärische Stärkung der Angegriffenen eine friedensfördernde Wirkung haben. Indem diese Rüstung abschreckt, den Angreifer zu vertreiben hilft, mindert sie die Folgen des Krieges.
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Weder die Rüstung noch Militärpakte sind an sich kriegsfördernd und friedensfeindlich. Es kommt immer auf die Gestaltung und Verwendung an. Das entscheidende ist die Haltung der Politik. In einer friedvollen Gesellschaft dienen beide der Abschreckung von Angreifern. In einer aggressiv eingestellten Gesellschaft dienen beide dem militärischen Überfall.
In der großen Mehrheit aller Staaten auf der Erde sind ihre nationalen Streitkräfte so selbstverständlich wie das Schulwesen. Der Grund dafür ist nicht die Kriegslüsternheit all dieser Staaten. Sie beherzigen eine tausend Jahre alte Erfahrung : Eine Gesellschaft muß sich im Notfall auch verteidigen können. Nur eine Minderheit von ihnen mißbraucht das Militär für Überfälle auf andere Länder. Auch die UNO setzt im Bedarfsfall Streitkräfte ein, um gewisse Beschlüsse durchzusetzen. Neutrale Länder wie die Schweiz, Schweden und Finnland haben ein starkes Heer aufgebaut - gerade weil sie die Neutralität glaubhaft verteidigen wollten.
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Wie sollte nun die Politik, also die Gesellschaft eines Landes, mit ihren Streitkräften umgehen ?
Als erstes muß das Militär eindeutig unter der Kontrolle der demokratischen Institutionen stehen. In seinem Aufbau, seiner Einsatzdoktrin, seinen technischen Mitteln muß es auf die Verteidigung des eigenen Staatsgebietes ausgerichtet sein - nicht aber für den Angriff auf andere Länder. Die militärische Zusammenarbeit mit anderen Staaten, eventuell die Mitgliedschaft in einem Militärpakt, muß den gleichen Grundsätzen gehorchen wie vorher zitiert. Ganz wichtig ist ein Veto-Recht bei Verletzung dieser Bedingungen.
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Wenn ein Krieg wirklich beginnt, dann hat die Friedenspolitik ihre führende Rolle für eine unbestimmte Zeit lang verloren. In den Vordergrund tritt dann die militärische Abwehr des Angreifers. Auch im Herbst 1939 war das von Hitler beherrschte Deutschland mit Friedenspolitik ohne Waffen nicht mehr zu stoppen. Nur das entsprechend aufgerüstete Militär der Alliierten konnte die Rettung bringen.
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Hans Kohlmaier, Mai 2025               Â
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