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Sehr geehrte Frau Nationalratsabgeordnete, sehr geehrter Herr Nationalratsabgeordneter! Wien, am 10. April 2012
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Die österreichische Bundesregierung hat den Fiskalpakt bereits unterzeichnet, dennoch bedarf es zu seiner Rechtswirksamkeit für Österreich noch der Ratifizierung des Vertragswerkes.
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Nun gibt es, wie Sie wissen, unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, ob dieser Vertrag nicht eine Änderung unserer Verfassung bedeutet und daher nur mit einer 2/3 Mehrheit im Parlament ratifiziert werden könne oder aber durch eine Volksabstimmung.
Meines Wissens nach beurteilt zwar der Verfassungsrechtler Öhlinger den Pakt in Hinblick auf unsere Verfassung als unbedenklich, der anerkannte Verfassungsjurist Meyer u.a. jedoch in keiner Weise.
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Ich bin der Meinung, dass in so einer wichtigen Entscheidung für Österreich eine ausführliche und auch öffentliche Diskussion über diese Frage stattfinden muss und dass die endgültige Entscheidung über eine gültige, von der Mehrheit des österreichischen Volkes getragene Rechtsmeinung erst nach so einer Diskussion stattfinden kann.
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Da jedoch die Medien über diese Frage kaum berichten, wende ich mich an Sie und ersuche um eine diesbezügliche Stellungnahme aus Ihrer Sicht.
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Zahlreiche Kritiker des Fiskalpakts sind der Meinung, dass er Bestimmungen enthalte, welche, abgesehen von dieser Verfassungsfrage, so wesentlich für die Zukunft der Bürger unseres Landes sind, dass eine Ratifizierung dieses Vertrages auf keinen Fall mit einfacher Mehrheit im Parlament erfolgen, sondern der österreichischen Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden sollte.
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In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das 2008 von Bundeskanzler Faymann abgegebene Versprechen verweisen, über Änderungen im EU-Vertragswerk in Zukunft Referenden abhalten zu wollen. Im Sinne der ohnedies schwer angeschlagenen Glaubwürdigkeit von PolitikerInnen in unserem Lande wäre es ein Gebot der Stunde, dass wenigstens der amtierende Bundeskanzler seine dem Volk gegebenen Versprechen einhält. Darüber hinaus haben Sie es, sehr geehrte Nationalratsabgeordnete/sehr geehrter Nationalratsabgeordneter, in der Hand, ein Referendum im Parlament zu erwirken. Ihre Haltung dazu wird, so bin ich überzeugt, eine wahlentscheidende Rolle bei der kommenden Nationalratswahl spielen.
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Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie im Parlament - und in diesem agieren Sie auch als mein Vertreter - für eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt eintreten werden, und falls nicht, mit welcher Begründung Sie das nicht vorhaben zu tun.
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Die Kritik am Inhalt dieses Vertrages ist umfangreich. Der angesehenen Ökonom Dr. Stephan Schulmeister spricht von einem „verordneten Weg in die Depression“ sowie von einer „geordneten Strangulierung des europäischen Sozialstaates“ (Falter, 12/2012) , was schließlich ja auch EZB-Chef Draghi so sieht, wenn er den Fiskalpakt mit den Worten verteidigt, „ der europäische Sozialstaat hat ausgedient“ (Wallstreet Journal, 24.2.2012). Der frühere Chefökonom der Bundesbank und der EZB, Otmar Issing, bezeichnete ihn als inflationär und undemokratisch und meint sogar, der Vertrag könne die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg heraufbeschwören. Siehe: http://news.eirna.com/504053/fiskalpakt-ist-verfassungswidrig-und-undemokratisch
Gewerkschaften und Arbeiterkammern in allen europäischen Ländern, auch in Österreich, warnen vor einem weiteren Schritt zur Entdemokratisierung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund lehnt den Fiskalpakt aus demokratischen und ökonomischen Erwägungen strikt ab, der ÖGB ebenso.
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Die Befürworter des Fiskalpakts sind in erster Linie jene neoliberalen Politiker und Ökonomen, welche das Wohl des Finanzkapitals über das Wohl der Menschen stellen und Politik im Interesse dieses Finanzkapitals betreiben. In allen europäischen Ländern jedoch nimmt der Widerstand gegen diese Politik zu, in allen europäischen Ländern nimmt das Vertrauen der Bevölkerung in diese Politiker rasant ab, auch in Österreich. Die derzeit in unserem Lande geführten Korruptionsuntersuchungsausschüsse und Gerichtsverfahren gegen Politiker tragen dazu ihren Teil bei, viel mehr jedoch ist das Volk darüber erzürnt, dass es sich von seinen Repräsentanten „verkauft und verraten“ fühlt.
Mir erscheint vor allem die ökonomische Kritik von Dr. Schulmeister am Fiskalpakt (siehe Beilage) sehr einleuchtend zu sein, aber vielleicht habe ich irgendeine Argumentation vernachlässigt, die mich das Vertragswerk in ebenso gut nachvollziehbarer ökonomischer Sicht anders einstufen lässt. Falls Sie also vorhaben im Parlament für den Pakt zu stimmen, ersuche ich Sie höflich um eine Aufklärung über ihre persönliche ökonomische Sichtweise. Ich werde diese selbstverständlich auf meiner Homepage veröffentlichen.
Die Entscheidung über eine endgültige Zustimmung zum Fiskalpakt und zum ESM durch die Ratifizierung ist eine äußerst bedeutsame für die Zukunft unseres Landes und die der österreichischen Bevölkerung. Ich appelliere an Sie, sich in dieser Frage zu keinen vorschnellen partei- oder machtpolitischen Antworten verleiten zu lassen und die Entscheidung darüber das österreichische Volk in Form einer Volksabstimmung treffen zu lassen.
Hochachtungsvoll
Mag. Gerhard Kohlmaier
Steuerinitiative im ÖGB, www.steuerini.at
Wehlistr. 150/73, 1020 Wien
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Beilage:
EU-Fiskalpakt: Das programmierte Desaster
Stephan Schulmeister am 28. März 2012
Als die 25 StaatenlenkerInnen den EU-Fiskalpakt unterzeichneten, haben sie seine Folgen nicht begriffen. Das Ziel war doch so klar - Schluss mit dem Schuldenmacherei! – und die Regeln doch so einfach:
• Jeder Vertragsstaat darf nur mehr ein strukturelles (konjunkturbereinigtes) Haushaltsdefizit von maximal 0,5% des BIP aufweisen (Defizitkriterium).
• Jedes Jahr muss die Staatsschuld um ein Zwanzigstel der Differenz zwischen der aktuellen Schuldenquote und dem Zielwert von 60% abbauen (Schuldenkriterium).
• Jedes Vertragsland kann ein anderes beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen Regelverletzung anzeigen, dieser prüft und verhängt Strafen. Die Folgen: Nach dem Defizitkriterium muss etwa Spanien sein Defizit von 8,5% des BIP so rasch wie möglich beseitigen. Vereinbart sind mit der Europäischen Kommission Zielwerte von 5,4% (2012) und 3,0% (2013). Angesichts der schweren Rezession (das BIP schrumpft heuer um 2%) und extrem hoher Arbeitslosigkeit verschlimmert das Sparen die Lage immer mehr.
Annahme: Eine Defizitreduktion um einen BIP-Prozentpunkt reduziert das BIP in gleichem Ausmaß (Multiplikator = 1), gleichzeitig kommt die Inflation zum Stillstand (nicht zuletzt infolge sinkender Löhne). Dann wird das nominelle BIP Sparpolitik 2012 und 2013 um jeweils 5% schrumpfen. Wird das Sparziel (denÂnoch) erreicht, so müsste Spanien nach dem DefizitÂkriterium des Fiskalpakts nicht weiter sparen, obwohl das Gesamtdefizit noch immer 3% beträgt.
Grund: Das aktuelle BIP läge 2013 um mehr als 5% unter dem Potentialoutput (wegen des durch die Sparpolitik vertieften Wirtschaftseinbruchs), die Konjunkturkomponente des Gesamtdefizits wäre zumindest 2,5%, das konjunkturbereinigte („strukturelle“) Defizit also kleiner als 0,5% des BIP.
Nun aber entfaltet das Schuldenkriterium seine Wirkung. 2012 und 2013 steigt die spaniÂsche Staatsschuldenquote (Relation der Schulden zum BIP) von 70% auf fast 90% (!). Dazu tragen die Budgetdefizite 8,4 BIP- Prozentpunkte bei (5,4 plus 3,0). Noch stärker ins Gewicht fällt die Schrumpfung des BIP (des Nenners) um 10%. Folge: Nach dem SchulÂdenkriterium muss Spanien jetzt 20 Jahre lang Jahr 1,5% des BIP einsparen (1/ 20el von 90% minus 60%)…..
Verordneter Weg in die Depression
Fazit: Die „Verzahnung“ von Defizit– und Schuldenregel im Fiskalpakt verordnet (fast) allen EU- Ländern den „griechischen Weg“ in die Depression. Sparmaßnahmen reduzieÂren zwar das Defizit, aber gleichzeiÂtig das BIP, die Staatsschuldenquote steigt, und das erzwingt ein (nahezu) permanentes Sparen. Der europäische Sozialstaat wird so konseÂquent stranguliert. Das hat der EZB- Chef Draghi richtig erkannt.
Beispiel Italien: Die Staatsschuldenquote beträgt 120%, Italien müsste also 20 Jahre lang 3% des BIP einsparen, Jahr für Jahr…… Wichtig: Die für das Europäische Sozialmodell verheerende Wirkung des Fiskalpakts liegt nicht in der viel diskutierten Schuldenbremse nach deutschem Vorbild (= Defizitkriterium), sondern im Schuldenkriterium –  über dieÂses ist kaum berichtet, geschweige denn öffentlich diskutiert worden. Danach müssen nämlich alle wichtigen EU- Länder permanent und gleichzeitig konsolidieren. Wer so etwas beschließt, hat das 1 mal 1 der Makroökonomie nicht begriffen.
Ein weiterer Fundamentalfehler: Die Zielgröße einer Schuldenquote von 60%. Dieser Wert hatte 1992 als Teil der Maastricht- Kriterien seine Berechtigung. Damals glaubte man,  (nominelle) BIP würde langfristig um 5% pro Jahr steigen. In diesem Fall konvergiert die Staatsschuldenquote gegen den Wert von 60%, wenn das Budgetdefizit permanent bei der Maastricht- Obergrenze von 3% des BIP liegt (3/5=0,6).
Tatsächlich ist aber das nominelle BIP der Euroländer seit 1992 lediglich um 3,5% pro Jahr gestiegen. Daraus ergäbe sich ein höherer Grenzwert der Staatsschuldenquote, nämÂlich 86% (3/3,5). Soll aber das Gesamtdefizit mittelfristig nur 0,5% des BIP betragen wie im EU- Fiskalpakt vorgesehen, dann dürfte der Zielwert der Staatsschuldenquote nur bei 14% lieÂgen (0,5/3,5). Italien müsste dann 20 Jahre lang seine öffentlichen Schulden um 5,3 BIP- Prozentpunkte pro Jahr abbauen.
Vernaderung als Solidaritätsbekundung
Komplettiert wird der Pakt durch den (Vernaderungs)Artikel 8: Demnach werden StrafÂverfahren gegen „Zuwenig- Sparer“ (nur) durch (wechselseitiges) Anzeigen der VertragsÂländer beim EuGH initiiert. Das Gericht kann dann Strafen bis zu 0,1% des BIP verhänÂgen (etwa 300 Mill. € im Fall von Österreich).
Allerdings müssten die Richter ein mehrjähriges Ökonomiestudium nachholen, um die difÂfizilen Fragen überhaupt zu verstehen, die beim Versuch einer Quantifizierung von PotenÂtialoutput und strukturellem Defizit auftreten. Die Wirtschaftswissenschafter haben dazu trotz jahrzehntelangem Bemühen keine einheitlichen Antworten finden können.
Endgültig als Farce erkennbar wird der Pakt daran, dass er ja gar nicht Teil des EU- Rechts ist (weil England und Tschechien nicht mitmaÂchen). Daher können die 25 Partner auch keine EU- Institutionen wie EuGH oder Kommission mit Pakt- Aufgaben betrauen. VielÂmehr müssten sich die 25 Länder als europäischer Sparverein konstituieren („Die 25- er“), der seine eigenen Organe bildet, etwa auch ein Schiedsgericht.
Totgeburt in spe
Juristen nennen Normen, welche nicht mehr anwendbar sind, „totes Recht“. Beim FiskalÂpakt handelt es sich um eine „Totgeburt in spe“. Allerdings: Bis zur Ausstellung des TotenÂscheins kann dieser Unsinn enormen Schaden anrichten. Seine Ratifizierung in den natioÂnalen Parlamenten zu verhindern, ist der BürgerInnen erste Pflicht.
Dieser Beitrag erschien bereits in der Vorwoche im FalÂter 12/ 2012.
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