Aktuelles Thema/2, 23.5.: Das ungerechtfertigte Gefasel über Stabilität Drucken E-Mail

 

Das tägliche Beteuern zahlreicher Protagonisten - vom Bundespräsidenten angefangen, über den Bundeskanzler bis hin zur NEOS-Chefin Meinl-Reisinger - in der derzeitigen politischen Situation des Landes ginge es um Stabilität, mutet mehr als seltsam an.

Offensichtlich soll nun diejenige Person, also Kurz, für Stabilität sorgen, welche diese in der jüngsten politischen Vergangenheit des Staates bereits zweimal aufs Spiel gesetzt hat. Innerhalb von knapp zwei Jahren ließ der Bundeskanzler zwei Regierungen platzen.

Die Stabilität einer Regierung an einer Person festmachen zu wollen, wie das derzeit von oben erwähnten Personenkreis geschieht, bedeutet allerdings, den Charakter der parlamentarischen Demokratie gründlich zu missachten. In dieser ist nämlich die einzig vom Wähler dazu legitimierte Institution das Parlament. Dieses bestimmt, dem Wähler und Bürger verpflichtet, über das Wohl des Landes. Und Letzteres ist keine Frage einer Person, sondern eine Frage der Inhalte.

Indem der Bundespräsident seit Beginn der politischen Krise offensichtlich in all seinen Wortmeldungen diese Stabilität auf die Person Kurz und seine ÖVP reduziert, brüskiert er damit nicht nur alle anderen Parteien, sondern insgeheim das höchste demokratisch gewählte Gremium in unserem Land, den Nationalrat. Zur Erinnerung: 31,5% der Stimmen entfielen bei der letzten Wahl auf diese ÖVP, das heißt also, dass offenbar 68,5% der gewählten politischen Vertreter für unfähig erklärt werden, diese Stabilität zu gewährleisten.

Dass Van der Bellen unsere Verfassung keine anderen Möglichkeiten in die Hand gegeben hätte, ist schlichtweg falsch. Selbstverständlich hätte er auch die Regierung auflösen können und für die Zeit einer Übergangsregierung für eine das Kräfteverhältnis im Nationalrat abbildende Regierung sorgen oder zumindest plädieren können. Dann wäre tatsächliche Kontrolle der Regierungstätigkeit sogar unter einem Bundeskanzler Kurz gewährleistet gewesen, würden sich die anderen Parteien gemäß diesem Verhältnis im Nationalrat auch in der Regierung wiederfinden.

Auch das Argument, Österreich müsse an einem Kanzler Kurz festhalten, um unsere Interessen in der EU und im Ausland umsetzen zu können, entbehrt jeglicher vernünftiger Grundlage, denn selbstverständlich sind diese Interessen nicht von einer Person abhängig. Dies belegt auch die Antwort eines deutschen Politikers, der gefragt wurde, ob es ein Problem sei, wenn Kurz nicht am Europäischen Rat am 20./21.Juni teilnehmen könne: „Ehrlich gesagt. Das ist vollkommen egal.“

 

Was ist also diese Stabilität, von der einige nicht genug bekommen, sie immer wieder zu beschwören? Sie ist nichts anderes als eine ungerechtfertigte, nicht haltbare Bevorzugung einer politischen Richtung. Diktaturen weisen in dieser Hinsicht die größte Stabilität auf, wohin sie führen, sollten sich jedoch alle Beteiligten an der derzeitigen Diskussion in Erinnerung rufen.

 

Gerhard Kohlmaier, 23.5.2019