Die soziale Demokratie und das Elend der Sozialdemokratie Drucken E-Mail

(Teil Zwei der Erläuterungen zum Aufruf „Wahlgemeinschaft)


Die SPÖ hat sich große historische Dienste erworben. In der Habsburger Monarchie und später in der Zwischenkriegszeit trat sie für einen demokratischen Sozialismus mit Vergesellschaftung von Produktionsmitteln ein. Sie war entscheidend beteiligt bei: der Verkürzung der Arbeitszeit, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und dem Aufbau eines Sozialstaates.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Österreich unter den Sonderbedingungen der alliierten Besetzung und weitgehender Zerstörung aufgebaut. In der politischen Situation des Kalten Krieges und der ökonomischen Situation einer lang anhaltenden  Konjunktur (auch infolge der Geschäftsmöglichkeiten nach großflächigen Zerstörungen im zweiten Weltkrieg) bildete sich in weiten Teilen Europas die so genannte „Soziale Marktwirtschaft“ heraus.

Die SPÖ war federführend mit dabei. Doch sie hatte sich seit ihren Gründungsjahren entscheidend verändert. Bedeutete damals ein Aufstieg in Partei und Gewerkschaft für die FunktionäreInnen vor allem Kampf und Verfolgung, so winkte nach dem Zweiten Weltkrieg materielle Belohnung und gesellschaftliche Anerkennung. Die KarrieristenInnen griffen zu dem erprobten Mittel der Organisierung in Netzwerken um an die Ämter zu gelangen. Insofern entsprach diese Entwicklung der in den herrschenden kommunistischen Parteien. Die Partei- und ihre Vorfeldorganisationen, die Teilbereiche des ÖGB wurden zu Territorien von Netzwerken. Die FührerInnen der Netzwerke brauchen Ämter für den persönlichen materiellen Vorteil und zur Belohnung ihrer Helfer. Ämter bedingen Wahlsiege. Und Wahlsiege erfordern Anpassung an den momentanen ideologischen Hauptstrom  in der Bevölkerung.

Also wurde sozialistisches Gedankengut nach und nach entsorgt. Die SPÖ fand eine neue ideologische Hauptlinie mit der Formel: „Geht es der Wirtschaft gut, kann es uns allen gut gehen.“ Durch die neue Ideologie funktionierte die Zusammenarbeit mit der herrschenden Unternehmerschicht besser und die so genannte „Sozialpartnerschaft“ wurde entwickelt. Ihr Grundsatz war: „Das meiste für die Unternehmer- aber etwas auch für die Arbeitnehmer.“ Alles in allem wurde Österreich im internationalen Vergleich so zu einem der reichsten Staaten mit hohen sozialen Standards. Aber gleichzeitig konnte auf Grund dieser Ausrichtung eine kleine Minderheit an Menschen den größten Anteil des gesellschaftlich erwirtschafteten Vermögens an sich ziehen.

Der Zusammenbruch des Ostblocks, die Einführung eines brutalen Manchester- Kapitalismus in ehemals „staatsozialistischen“ oder „kommunistischen“ Ländern und die neue Form der Gestaltung von Globalisierung läuteten eine neue Etappe ein. Die herrschende Elite Europas hat die neuen Verhältnisse mit der Konstruktion der EU als neoliberales Gebilde vorbereitet. Die europäische Sozialdemokratie hielt still oder half sogar dabei.

In dieser Etappe ist neben der ökonomischen Übermacht(die sowieso nie in Frage stand) der herrschenden Schicht auch die politische Übermachtvorläufig sicher. Die allseitige Übermacht erlaubt die offene Durchführung des Neoliberalismus: Umverteilung von unten nach oben, von arm zu reich, bei wachsendem gesellschaftlichen Reichtum.

Die SPÖ stand nun vor einer grundlegenden Entscheidung: Rückkehr zu den alten Werten (und damit den Mühen gesellschaftlicher Kämpfe) oder Anpassung an die neuen Verhältnisse.

Ersteres hätte für einige Zeit sicher den Verlust von Ämtern und den damit verbundenen materiellen Möglichkeiten bedeutet. Man wechselte zwischen den Führungsetagen des Sozialstaates, der Konzerne und der Partei hin und her. Betriebsratsvorsitzende krönten ihre Karriere mit dem Übertritt ins Management. Die Wiederaufnahme der Vorkriegspolitik ( also auch die theoretische Anerkennung der tatsächlich stattfindenden Klassenauseinandersetzung) wäre auch umso schwerer durchführbar gewesen, weil die SPÖ selbst inzwischen die Hauptarbeit beim Dummreden und Dummschreiben des politischen und ökonomischen Erkenntnisstandes der Bevölkerung übernommen hatte. Außerdem verschlechterten sich inzwischen die materiellen Rückzugsmöglichkeiten der Parteigranden: Konsum, Arbeiterzeitung und (nun auch) Bawag sind weg.

Gemäß ihren materiellen Interessen wählte die führende Funktionärsschicht in SPÖ und ÖGB den Weg der Anpassung. Die ideologische Grundlagefür das politische Geschäft heißt nun: “Wir sind sozialer als die anderen.“ So knüpft man auch am besten an den alten Traditionen an und das ist der eigentliche Grund für die Stabilität der SPÖ. Viele Arbeitnehmer(auch Intellektuelle), die mit der faktischen Politik der Partei unzufrieden sind, halten ihr zähneknirschend (auch in der Wahlzelle) die Treue: besser sie als die anderen. Damit hat die SPÖ ihren Platz im angewandten Neoliberalismus gefunden. In der alles entscheidenden Frage, der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, steht sie auf der Seite der herrschenden Schicht. Das schließt einzelne soziale Verbesserungen nicht aus. Im Gegenteil, es mindert innerparteiliche Schwierigkeiten, hilft das Land(die EU) ruhig zu halten und erhöht die Chancen auf Wahlsiege. Für die Unternehmer ist das tolerierbar solange der Hauptteil des materiellen Reichtums ihnen zufließt.
Zudem ist in einigen gesellschaftliche Bereichen für die SPÖ noch ausreichend Gelegenheit für fortschrittliche Politik. Verbesserungen im gesellschaftlichen Überbau (z.B. Rechte von Homosexuellen, Einwanderern, Eherecht, usw.) stören oft die Gewinnmaximierung keineswegs. Wenn sie bei minimalen Kosten zu maximaler gesellschaftlicher Reibungslosigkeit führen, liegen sie auch im Interesse der herrschenden Schicht.

Wie in den vergangenen Jahren, so wird aber auch in der nächsten Zeit unter wesentlicher Mitwirkung der SPÖ der neoliberale Haupttrend fortgesetzt werden: immer mehr Menschen sinken in ihren materiellen und nicht materiellen Lebensbedingungen ab und die Distanz zwischen den Reichen und dem Durchschnitt steigt. Trotzdem sind auch materielle Verbesserungen für die Untersten möglich weil der Durchschnitt (die Masse) sinkt- also insgesamt Gewinnmaximierung erfolgt.
Der politische Ton der SPÖ wird bei Bedarf linker und radikaler werden. Der Bedarf besteht darin, Kernschichten zu festigen, Randschichten zu halten und damit Wahlsiege zu sichern.

Ein besonderer Bedarf besteht also darin, jede wählbare Konkurrenz von links zu verhindern. Daher sind linke Politiker in der SPÖ kein Störfaktor sondern eine Bedingung für die Erhaltung der Regierungsfähigkeit auf allen Ebenen.

Der Nachwuchs steigt oft links auf und verwaltet das Amt dann rechts. Andernfalls wird er abgeschoben- soweit haben die Netzwerke immerfunktioniert. Bei ihrem Aufstieg absolvieren die SPÖ-Linken eine Art politischer Meisterprüfung: soziale Erwartungen als Auftrieb wecken- dann enttäuschen und trotzdem das angestrebte Amt erreichen.

Obwohl sich die herrschende Schicht  in der Mehrheit persönlich lieber in anderen Parteien versammelt, ist die SPÖ für sie die strategisch wichtigste Partei bei der Verwaltung der Gesellschaft geworden. Sie hat den größten Einfluss bei den Arbeitnehmern und vor allem kann sie in den Betrieben am effektivsten für Ruhe sorgen. Gerade ihre Verbindungen nach links und zu den NGO`s erlaubt den wirklich Herrschenden eine genauere  Einschätzung des Widerstandes als es jede Meinungsumfrage könnte. Noch wichtiger als die Meinung der Bevölkerung zu kennen ist ihre Bereitschaft zum Widerstand richtig einzuordnen. Das erleichtert die reibungsarme Durchsetzung von Herrschaftsinteressen.

Wer die Lebensbedingungen der Bevölkerung entscheidend verbessern will, hat in der SPÖ einen strategischen Gegner. Das schließt aber zeitweilige Aktionsbündnisse nicht aus.

Mehr können Sie im Teil Drei der Erläuterungen zum Aufruf „Wahlvorschlag“ lesen.

Wien, 01.06.08                                    Hans Kohlmaier (www. umverteilung.at)

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