Die allseitige Krise ist da! Und jetzt? Drucken

Ob es uns passt oder nicht- das kapitalistische Wirtschaftssystem muss stabilisiert werden. Ein weitgehender Zusammenbruch würde jetzt zu großem Elend führen, denn eine praktische Alternative gibt es im Moment nicht.

Die entscheidende Frage ist: Wie sanieren wir das System? Stellen wir den alten Zustand wieder her oder gehen wir neue Wege?
Die führenden Neoliberalen haben ihre eigene Propaganda nie geglaubt. Für sie sind die politischen Schlagwörter ein Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist die Umverteilung von unten nach oben. Diese nützlichste aller Definitionen des Neoliberalismus muss nun erweitert werden: Neoliberalismus ist die Umverteilung von unten nach oben auch bei sinkendem Bruttoinlandsprodukt.

 

Gerade noch wurde von den Neoliberalen lautstark ein möglichst weitgehender Rückzug des Staates aus der Wirtschaft gefordert. Nun, da die allseitige Krise ausbricht, wenden sie sich an den Staat. Das ist kein Rückzug des Neoliberalismus, sondern seine konsequente Fortführung unter neuen Bedingungen. Die herrschende Elite wendet sich dorthin, wo die größten und am schnellsten verfügbaren finanziellen Mittel liegen- zum Staat. Da gelten keine Maastrichtkriterien mehr, für so viel Geld nehmen sie auch die Verschuldung kommender Generationen in Kauf.

Natürlich leiden auch Konzerne und Vermögende in der Krise. Aber es ist ein Unterschied, ob sich der Börsenwert halbiert oder die privat angesparte Pension. Es ist ein Unterschied, ob man mit einer Millionenabfindung das Management verlässt oder mit tausend Euro in die Arbeitslosigkeit geht. Es ist ein Unterschied, ob der Gewinn einer Firma sinkt oder die Schulden eines privaten Haushaltes steigen. Es ist ein Unterschied, ob man vor Ausbruch der Krise Milliardengewinne eingestreift hat oder mit Müh und Not sein Auskommen hatte.

Dieser Unterschied erfordert eine bestimmte Reaktion des Staates in seiner Rolle als Repräsentant der gesamten Gesellschaft. Er hat zuallererst die Aufgabe den Millionen der von der Krise bedrohten BürgerInnen zu helfen. Indem er ihnen hilft soll er es derart tun, dass die Wirtschaft stabilisiert und angekurbelt wird. Bisher ist man den umgekehrten Weg gegangen. Die Wirtschaft wurde dereguliert, aus der Kontrolle entlassen und ihre Steuern am meisten gesenkt. Der Gewinn war wichtiger als die Lebensbedingungen der BürgerInnen. Am Ende dieses Weges steht die allseitige Krise.

Eine Umkehr, also eine Abwendung vom Neoliberalismus, bedeutet: die Menschen zu fördern und damit in Folge auch die Wirtschaft.

Betrachten wir nun den momentanen Stand der Krise.

Gemessen am wichtigsten weltweiten Börsenindex, dem MSCI World, hat sich der Wert des weltweiten Aktienkapitals in den vergangenen zehn Monaten um 38 % verringert. In Zahlen formuliert: Achtzehntausend Milliarden Dollar haben sich praktisch in Luft aufgelöst. Das bringt Konzerne in existenzielle Gefahr und vernichtet (weitgehend) die private Pensionsvorsorge von Millionen Menschen. Gleichzeitig lässt die Finanzkrise die Banken reihenweise zusammenkrachen und der Kreislauf des Geldes kommt ins Stocken. Damit sind Kredite für private Überbrückung und unternehmerisches Handeln gefährdet. Nach seriösen Analysen stehen zwei Drittel der Wertberichtigungen im Finanzsektor noch bevor. Wir stehen am Anfang einer (weltweiten) allseitigen Krise. Niemand kann heute genau sagen, welches Ausmaß und welche Dauer sie haben wird.

Trotzdem muss vor absichtlichen Übertreibungen gewarnt werden. Diese werden zur Einschüchterung des öffentlichen Bewußtseins verwendet um bestimmte Maßnahmen leichter durchzusetzen.

Laut jüngsten Schätzungen der US-Bank Goldman Sachs werden die Gewinne der börsennotierten Unternehmen Europas heuer um 6 % niedriger ausfallen als im Rekordjahr 2007. Für 2009 wird ein weiteres Minus von 12 % erwartet. Das ist keineswegs eine Katastrophe! Auch muss man bedenken, dass Börsenverluste vor allem virtuelle Verluste sind weil sie im Grunde eine Wette auf die Zukunft darstellen. Derzeit sind die meisten Konzerne geschwächt, aber sie liegen nicht am Boden. Ein guter Teil der Riesengewinne der vergangenen Jahre ist durchaus real rund um den Globus verteilt. Allerdings ist er ebenso real den Steuerbehörden weitgehend entzogen.

In Österreich verloren an der Wiener Börse österreichische Anleger (die dort in der Minderheit sind) von Jänner bis Oktober 9,4 Milliarden Euro. Das sind auf das ganze österreichische Privatvermögen bezogen 2,2 % davon und damit weniger als die Entwertung durch die Inflation. Andererseits steigt die Sparquote in Österreich auf ein Rekordniveau. Man rechnet mit neu angelegten Ersparnissen von 20,4 Milliarden Euro. Es ist schon genug Geld da- nur wird es von den Finanzinstituten (zur eigenen Absicherung und für Gelegenheiten einer Übernahme) gehortet.

 

Der österreichische Staat reagiert bisher folgendermaßen: Er stellt rund 5,5 Milliarden Euro (vor der Wahl beschlossene Maßnahmen, Steuerreform, Konjunkturpaket) auch im Rahmen der Krisenbekämpfung zur Verfügung. Die fast dreifache Summe (15 Milliarden Euro) ist für Finanzinstitutionen (im Moment nur Banken) in Form von stimmrechtlosen  Partizipationskapital vorgesehen. Im Moment sind der Regierung die Finanzinstitutionen also drei mal soviel wert wie die Bevölkerung.

So erhält zum Beispiel die Erste Bank Gruppe, die im Vorjahr einen Gewinn von 1,92 Milliarden Euro erzielte, jetzt eine Kapitalspritze von 2,7 Milliarden Euro. Die EU-Wettbewerbskommissarin Kroes hält den Zinssatz (von 8%) den der Staat  dafür erhält (gemessen an den Marktkonditionen) für zu niedrig.

In den nächsten drei Jahren verspricht die Erste der Republik eine Milliarde Euro pro Jahr an Neukrediten für Privat- und eine Milliarde Euro für Firmenkunden zur Verfügung zu stellen. Von Jahresbeginn bis Oktober hat die Bank 1,3 Milliarden an Privat- und 2,4 Milliarden an Firmenkunden vergeben. Im Grunde genommen verpflichtet sich die Erste also, die bisherige Höhe der Kreditvergabe im besten Fall bei zu halten.

Die Republik Österreich haftet außerdem für Kredite in Höhe von 75 Milliarden Euro, die sich Banken untereinander verleihen. Diese Haftung stellt zusammen mit der Einlagensicherung für private Konten und Sparbücher wohl jenen Preis dar, den wir zähneknirschend für die Stabilisierung des Systems unter Umständen zahlen müssen.

Karl Marx formulierte einst sinngemäß: Der Staat ist der geschäftsführende Ausschuss der herrschenden Klasse.

Von dieser Aussage beunruhigt stellen sich folgende Fragen:

Warum geben wir eigentlich die ungeheure Summe von 15 Milliarden Euro (drei mal eine Steuerreform) den Finanzinstituten und nicht den von der Krise bedrohten BürgerInnen?

Man könnte damit notleidende Kredite für Private und kleine Firmen unterstützend stunden.

Man könnte damit Arbeitslose sowie Mindestpensionen aufbessern und eine ordentliche Grundsicherung einführen. Man könnte damit das Bildungswesen und die Gesundheitsvorsorge im notwendigen Ausmaß entwickeln. Man könnte damit den ökologischen Umbau der Wirtschaft entscheidend vorantreiben.

Die Unterstützung eines sinnvollen(weil notwendigen) Konsums der Bevölkerung und Investition in die Realwirtschaft ist doch die Grundlage einer funktionierenden Volkswirtschaft. Die Finanzwirtschaft kann sich dann auf dieser gesunden Basis ihrer eigentlichen Aufgabe widmen, Kredite als „Schmiermittel“ einer sinnvollen wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung zu stellen.

Warum stellen wir eigentlich die Banken nicht unter staatliche Kontrolle und bringen sie auf dem Gesetzesweg dazu volkswirtschaftlich vernünftige Kredite zu vergeben anstatt mit Unsummen lediglich zu ermuntern?

 

Warum verstaatlichen wir eigentlich geschäftsunfähige Banken nicht auf Dauer und halten damit eine lebenswichtige Funktion des Wirtschaftskreislaufes unter gesellschaftlicher Kontrolle? Das würde Arbeitsplätze und Kundengelder bewahren und ein wirkungsvoller Riegel gegen Spekulation (bei entsprechenden Vorschriften) sein.

Statt dessen pumpen wir in Österreich(und in der EU) allzu knappes Steuergeld(das zum größten Teil  von den kleinen Leuten kommt) in den Finanzsektor um vor allem Aktionären zu helfen.

Muss Karl Marx denn unbedingt recht bekommen?

 

( Alle Daten stammen von KURIER, PRESSE, STANDARD und FORMAT)

 

Hans Kohlmaier, 11.11.2008                                                     www.umverteilung.at