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Aktuelles Thema, 5.2.2017: Kommentar zur Einstellung der Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Causa "Pröll-Stiftung" Drucken E-Mail

„Nicht einmal ein Anfangsverdacht!“ Aber vielleicht trotzdem eine Sauerei.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft prüfte in der Causa Pröll-Privatstiftung, ob gegen den Landeshauptmann Niederösterreichs ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch oder Untreue einzuleiten sei und befand, dass nicht einmal ein Anfangsverdacht vorliege und daher keine weiteren Ermittlungen einzuleiten seien.

Nun ist ein Landeshauptmann nach unserer Bundesverfassung der oberste Beamte eines Landes. Beamten ist es nach § 57 des Beamtendienstrechtsgesetzes verboten „eine Geschenkannahme im Hinblick auf seine amtliche Stellung für sich oder einen Dritten ein Geschenk, einen anderen Vermögensvorteil oder einen sonstigen Vorteil zu fordern, anzunehmen oder sich versprechen zu lassen.“

Aber Landeshauptmann Pröll hat ja persönlich keinerlei Gelder angenommen, sondern diese in eine von ihm gegründete Pröll-Stiftung mit gemeinnützigem Stiftungszweck eingebracht, sagen seine Steigbügelhalter und die Mitstreiter in der Landesregierung.

Allerdings feierte der Landeshauptmann seinen 60igsten Geburtstag bereits im Dezember 2006. Dabei soll er angeblich € 150.000.- von anonymen Spendern erhalten haben. Zu diesem Zeitpunkt existierte jedoch noch keine Dr. Erwin Pröll Privatstiftung, denn diese wurde erst knapp ein Jahr später, Ende 2007, gegründet.

Wie kommt es also, dass der höchste Landesbeamte Niederösterreichs einen Betrag von € 150.000.- annimmt, ohne dabei Skrupel zu empfinden? Wahrscheinlich ist, dass er keine hat. Diese Art der Geschenkannahme ist zumindest höchst merkwürdig. Pröll-Sprecher Kirchweger erklärte damals gegenüber dem Wirtschaftsblatt, der Landeshauptmann wolle mit der Gründung der Pröll Privatstiftung dem Spendenaufkommen zu seinem 60. Geburtstag „einen Sinn geben“. Was war also der Sinn der Spenden anlässlich seines Geburtstages? Machten sich seine „Untertanen“ womöglich Sorgen, ob ihr Landesvater denn die Kosten des Banketts begleichen könne? Wir werden es wohl nie erfahren. Beamte dürfen durchaus kleine Aufmerksamkeiten, die landesüblich sind, als Geschenk annehmen. Dass darunter aber auch Geldbeträge fallen, noch dazu in einer stattlichen Höhe, ist mir vollkommen neu und entspricht auch nicht dem Gesetz.

Nun ist für die Gründung einer Stiftung neben dem privatrechtlichen Willensakt des Stifters auch ein öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt der Behörde notwendig. Und diese zuständige Behörde ist nach § 39 BStFG (Bundesstiftungs- und Fondsgesetz) der Landeshauptmann selbst. Die Behörde prüft nun u.a. den gemeinnützigen Charakter des Stiftungszweckes und - davon gehe ich aus - wohl auch die Herkunft des angelegten Betrages. Und diese Prüfung vollzieht wiederum letztlich der Herr Landeshauptmann selbst. Das macht wahrlich keine gute Optik, oder? In vergleichbaren Fällen spricht man soviel ich weiß von Befangenheit und lässt solche Konstruktionen nicht zu.

Aber was wurde hier überhaupt geprüft? Nach dem Gesetz hat die Behörde zu prüfen, ob das Stiftungsvermögen zur Zweckeinreichung hinreichend ist. Nun kann man nur vermuten, dass die Behörde, also die Landesregierung selbst, der Ansicht war, dass die vom Landeshauptmann eingebrachte Summe zur Stiftungsgründung (Geldgeschenke anlässlich seines 60. Geburtstages) im Wesentlichen nicht ausreichen, um dem Stiftungszweck (angeblich die Errichtung einer Akademie zur Förderung des öffentlichen Raumes) zu erfüllen. Also beschließt die Landesregierung (u.a. der jetzige Innenminister Sobotka und die zukünftige Landsfrau Miki-Leitner) der Pröll-Stiftung in den kommenden Jahren jährlich € 150.000.- zu überweisen bzw. zur Verfügung zu stellen.

Steuergeld wohlgemerkt. Und diese jährliche Zuwendung zu seiner Stiftung wird nun auch vom Stifter, der gleichzeitig Landeshauptmann ist, mitbeschlossen.

Und selbstverständlich handelt es sich bei dieser Summe um keinerlei Geschenke, denn kein Steuerzahler wusste davon, dass Teile seines Steuergeldes in eine Privatstiftung des Landeshauptmannes fließen. Kein Steuerzahler hatte Kenntnis von einem Geschenk, und wenn man nichts schenkt, dann kann auch niemand ein Geschenk annehmen. Nicht einmal der Landeshauptmann oder eine Stiftung. Nach diversen Protokollen hatte ja nicht einmal der niederösterreichische Landtag Kenntnis von diesen Zuweisungen, weil sie in keinen Protokollen der Landesregierung ausgewiesen sind. Daher hat niemand der Pröll-Stiftung etwas geschenkt, der Landeshauptmann und die Mitglieder der Landesregierung haben einfach beschlossen, diese Steuergelder der Pröll-Stiftung zu überantworten. Von Geschenkannahme also kann hier wahrlich keine Rede sein.

Machen Sie sich selbst ein Urteil: Haben sie also recht, die Prüfer? Liegt tatsächlich kein rechtlich zu verfolgender Strafbestand einer Geschenkannahme vor?

Ob nun bei einer Handlung Untreue vorliegt oder nicht, ist im §153 StGB geregelt:

„(1) Wer seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2)Seine Befugnis missbraucht, wer in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstößt, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienen. (3) Wer durch die Tat einen 5 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, wer einen 300 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“

Prinzipiell versteht man unter Untreue die unsachgemäße Verwaltung von Vermögen, die einen Stellvertretungssachverhalt voraussetzt.

Zu unterscheiden davon ist die Veruntreuung, welche im §133 Abs.1 des StGB geregelt ist. Darunter versteht man die unsachgemäße Verwahrung von Vermögen.

Von Untreue kann im gegenständlichen Fall also wohl auch keine Rede sein, denn es wurde ja niemand an seinem Vermögen geschädigt. Dieses „Vermögen“ ist ja rechtlich gesehen Steuergeld und somit bereits im Eigentum des Staates bzw. Landes.

Etwas anders verhält es sich allerdings, zieht man den Tatbestand der Veruntreuung als Maßstab dafür heran, ob wohl alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Hier stellt sich sehr wohl die Frage, ob die der Stiftung zugedachten Steuergelder auch sachgemäß verwendet wurden. Tatsache ist, dass diese Gelder zum überwiegenden Teil bis dato für kein gemeinnütziges Projekt ausgegeben wurden, sondern im Gegenteil gehortet bzw. angespart wurden. Allerdings ist nach §133 des StGB eine Veruntreuung nur dann gegeben, wenn das anvertraute Gut, also der Betrag von 1,3 Millionen Euro, mit dem Vorsatz der eigenmächtigen Bereicherung im Zusammenhang steht.

Auch ein solcher Vorsatz ist nicht gegeben, auch wenn niemand wissen kann, was denn die Pröll-Stiftung mit diesem Geld tatsächlich gemacht hätte, wären die Machenschaften der Landesregierung nicht in Form von vertraulichen Akten aus dem Büro des Landeshauptmannes der Wochenzeitung „Falter“ zugespielt worden. Und schließlich wird eine Stiftung ja auch kontrolliert - von einem gerichtlich bestellten Stiftungsprüfer - und vom niederösterreichischen Landesrechnungshof. Und diese befanden: Alles in Ordnung.

Kann man es also drehen und wenden, wie man will, bewegt sich die Dr.Erwin Pröll Stiftung überall im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben? Offensichtlich schon, befindet zumindest die Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Die Namensgebung einer Stiftung obliegt nach dem Stiftungsgesetz dem Stifter. Warum dieser ihr den Namen „Dr. Erwin Pröll Privatstiftung“ und nicht etwa „Steuerstiftung des Landes Niederösterreich“ gegeben hat, ist auf den ersten Blick reine Geschmacksache. Allerdings würden sich wohl so manche Steuerzahler bei dieser Namensgebung die Frage stellen, warum sie Steuern in eine Stiftung einzahlen bzw. warum nicht das Land Niederösterreich selbst das Steuergeld vollkommen transparent verwendet und im Bedarfsfall für gemeinnützige Zwecke ausgibt. Die Bezeichnung „Dr. Erwin Pröll Privatstiftung“ lässt diese Frage nicht aufkommen, die Bürger ordnen die Bezeichnung wohl dem Stifter selbst zu und nehmen an, dass dieser Geld in die Stiftung einbringt. Was er ja offensichtlich auch tut. Dass es sich dabei um Steuergeld handelt, hat bis vor kurzer Zeit mit Ausnahme der Mitglieder der Niederösterreichischen Landesregierung niemand gewusst, vor allem nicht die Spender, die Steuerzahler.

Letztlich wäre in der Causa Pröll-Stiftung noch der § 302 des StGB zu beachten. In diesem wird die Verfehlung des Missbrauchs der Amtsgewalt behandelt:

„Ein Beamter, der mit dem Vorsatz, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes, eines Landes, eines Gemeindeverbandes, einer Gemeinde oder einer anderen Person des öffentlichen Rechtes als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich mißbraucht, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“

Hier geht es im Wesentlichen um den bewussten Missbrauch von Amtsgeschäften, verbunden mit dem Vorsatz, einen anderen zu schädigen.

Ich bin zwar der Ansicht, dass ein Steuerzahler geschädigt wird, wenn er nicht nachvollziehen kann, wofür sein Steuergeld verwendet wird. Die Praxis sieht dabei allerdings so aus, dass  das österreichische Auskunftspflichtgesetz aus dem Jahre 1987 stammt und in Sachen Transparenz weit hinter anderen europäischen Staaten nachhinkt. Rechte auf Auskunft gegenüber staatlichen Institutionen kann der österreichische Bürger nach Ablehnung seitens der Behörde nur über den Zivilrechtsweg durchsetzen. Da die Sitzungen der niederösterreichischen Landesregierung zudem geheim sind, kann man über einen Amtsmissbrauch auch nur Vermutungen anstellen. Ein Nachweis ist unter solchen Bedingungen so gut wie ausgeschlossen.

 

So ist es vielleicht rechtlich nachvollziehbar, warum die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft keine weiteren Ermittlungen in der Causa einleiten möchte, allerdings erscheint es etwas verwegen zu sein davon zu sprechen, dass „nicht einmal ein Anfangsverdacht“ vorliege. Dass dieser auf Grund der eigenartigen Konstruktionen verschiedener Institutionen und der Haltungen von unterschiedlichen Personen zur Angelegenheit nicht oder kaum beweisbar ist, ist eine andere Sache.

 

Schließlich und endlich aber kann man Recht nur nach den vorliegenden rechtlichen Grundlagen sprechen und es ist offenkundig, dass diese in zahlreichen Bereichen unseres Staatswesens vollkommen intransparent sind. Sie nützen den handelnden Personen in der Politik, deren persönlichen und machtpolitischen Interessen, sie sind nicht selten zum Schaden der Bürger.

 

Aber neben diesen rechtlichen Grundsätzen gibt es für jeden Menschen auch noch ethische Verpflichtungen des Handelns. Diese sind mitunter sogar wichtiger als die rein rechtlichen Bedingungen, insbesondere im Bereich des politischen Handelns, denn sie schaffen Vertrauen oder Misstrauen der Bürger. Wie würden die staatlichen Prüfungsinstitutionen in der Causa Dr. Erwin Pröll Privatstiftung wohl urteilen müssen, fragten sie nach diesen ethischen Grundlagen, welche den Herrn Landeshauptmann und die Regierungsmitglieder der niederösterreichischen Landesregierung zu ihrem Handeln bewegten? Aber letztlich ist das auch egal, denn Sie sind es, Sie als Staatsbürger, als Wähler, als Mensch, der über die Machenschaften des Herrn Landeshauptmanns und seiner Regierungsmitglieder urteilt, der ihre Vorgangsweisen beurteilt. Zu welchem Urteil Sie gelangen, liegt in Ihrer Verantwortung, ebenso die Konsequenzen, die Sie aus Ihrem Urteil ziehen.

(Mag. Gerhard Kohlmaier, Steuerinitiative im ÖGB, www.steuerini.at, 5.2.2017)

 
Aktuelles Thema, 13.11.: Ohnmacht und Agonie der Bürger bestimmen das westliche politische System Drucken E-Mail

Das amerikanische Volk hat um sich geschlagen und bei diesem Rundumschlag unbewusst das gewählt, was es zu bekämpfen vor hatte: das politische Establishment, das System von Eliten, wodurch es zum Großteil seit Jahrzehnten zu Verlierern gestempelt wird.

Die internationale Presse hat diese Ohnmacht als Abwahl des Establishments hochstilisiert, wissend, dass höchstens der eine Protagonist durch den anderen, vielleicht noch gefährlicheren ersetzt wurde. Die Intellektuellen üben sich seit der Wahl überwiegend darin, es als Unverständlichkeit zu erklären, dass das amerikanische Volk einen Populisten zum Präsidenten gekürt habe.

Was geht hier vor sich, was sind die Hintergründe eines Wahl-Megaspektakels, welches unter ähnlichen Vorzeichen in der gesamten westlichen Welt stattfindet?

Der Großteil des amerikanischen Volkes erlebt spätestens seit Ronald Regans Präsidentschaft  einen sozialen Abstieg. Seine neoliberalen Dogmen, an dessen Spitze die Trickle-down-Theorie besagt, dass die Akkumulation von Kapital sich letztlich auch positiv auf die untersten Gesellschaftsschichten auswirkt, wurde für die Mehrheit der Bevölkerung zum Alptraum. Zwar sickert tatsächlich etwas durch, wenn Vermögende immer vermögender werden, aber dieser Anteil ist wie die Vermögensverteilung in Amerika und in anderen Ländern der westlichen Welt zeigt, anteilsmäßig geradezu lächerlich. Im Vergleich zur erzielten Wertschöpfung der Gesellschaft führt sie für viele davon in die Armut, während die Vermögenden den Großteil des Kuchens für sich sichern. Nach Angaben der Weltbank waren 2013 weltweit 83% der gesamten Vermögenswerte in den Händen von 16%, 6 Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise hatte das Vermögen der Reichen um 50% zugenommen, die Finanzreserven der 374 größten multinationalen Konzerne haben sich seit 1999 verdoppelt, die Zahl der Menschen hingegen, die täglich weniger als 1,25 Dollar zur Verfügung haben, wird von der Weltbank auf 1 Milliarde geschätzt.

Bei dieser Politik ist ihnen die Mithilfe der politischen Repräsentanten gewiss: Eine der ersten Maßnahmen Regans war die Senkung der Steuersätze für die Wirtschaft und für die höchsten Einkommen. Die zahlreichen anderen Maßnahmen, welche die Regierungen der Staaten ermöglichten, um das Kapital zu unterstützen, reichen von der legalisierten Steuerhinterziehung, der Transformation von Spekulationsrisiken des Finanzkapitals auf die Völker der Staaten bis hin zum Sozialabbau und dem schlanken Staat, in dem die Pfründe der Gesellschaft Privaten anvertraut werden, damit sie davon profitieren können.

Zudem mussten die unteren Gesellschaftsschichten ihren spärlichen Anteil mit einem Preis bezahlen, welcher sie endgültig von den Eliten abhängig machte: der unkritischen Anerkennung ihrer Dogmen, an oberster Stelle die von der Freiheit des Marktes und der Schlankheit des Staatsapparates. Letzteres hat im Wesentlichen nur mehr dem ersten Dogma zu dienen. Dabei jedoch blieben nicht nur die Interessen zahlreicher Menschen auf der Strecke, sie wurden zudem von sich selbst zunehmend entfremdet.

Diese Entfremdung, Adorno nannte sie Entäußerung, äußert sich in allen westlichen Staaten ähnlich. Dem einzig geltenden - von den Staaten und den Eliten vorgegebenen - Grundsatz, nämlich dem des Marktes und einer freien Wirtschaft, wird alles untergeordnet - propagiert in allen Institutionen des noch bestehenden Staatswesens sowie in den Medien. Marktgesetze werden zu Naturgesetzen hochstilisiert, denen alle anderen Bedürfnisse der Menschen unterzuordnen sind. Die Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen findet ihre Grenze in der Funktion, welche er im Rahmen der Warengesellschaft zu erfüllen hat.

Wie sehr dieser Tod des Individuums fortgeschritten ist, zeigen nicht nur die Wahlen in den USA, sondern auch in vielen europäischen Ländern. Weil die Masse der Menschen sehr wohl weiß, dass Systemkritik sie erst recht einem überdimensional gewachsenen Gegner ausliefert, gegen den sie nur verlieren können, fallen die einen in einen Zustand der Agonie, welcher sich darin äußert, dass sie am politischen Leben nicht mehr teilnehmen. So haben  bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 42% der Wahlberechtigten ihre Stimme nicht abgegeben, bei den EU-Wahlen verzichten seit 2004 ebenfalls jeweils über 50% auf ihr Stimmrecht, auch in Österreich steigt bei Nationalrats- oder Landtagswahlen der Anteil der Nichtwähler ständig.

Die andere Reaktion der Menschen erinnert an die eines Ertrinkenden, der krampfhaft versucht eine rettende Hand zu erhaschen, ohne darauf zu achten, wessen Hand ihm gereicht wird. Das ist die Stunde der Populisten und der rechtslastigen Parteien, die dem in Nöten geratenen Bürger zu Hilfe eilen. Ob in Frankreich, in den Niederlanden, in Deutschland, Österreich und in zahlreichen anderen europäischen Ländern: überall sind rechte Parteien im Vormarsch. Sie bieten dem verzweifelten Bürger vor allem zweierlei: eine einfache Erklärung für seine Misere bzw. einen Schuldigen und eine einfach scheinende Lösung. Dabei führen sie die Bürgerinnen und Bürger bewusst in die Irre, denn nicht die Ausländer, die Flüchtlinge sind die Problemverursacher, nicht ein neuer Nationalismus, das Errichten von Mauern die Lösung, sondern ein neoliberales Polit- und Wirtschaftssystem, zu deren Förderern sie selbst zählen. Im Unterschied zum Populismus eines Donald Trump haben diese rechtsextremen Protagonisten jedoch noch eine Lösung für ihren Herrschaftsanspruch parat, dessen Umsetzung anstelle des Staates letztlich ein offen autoritäres System setzt, welches durch eine ethnisch definierte Homogenität die Bürger in einer Scheinsicherheit wiegt, welches sie zu einer Gefolgschaft verführt, die - wie die Geschichte gelehrt hat - schließlich in Gewalt endet.

Dass Trump zum Präsidenten gewählt wurde, hat u.a. mit diesem Reflex von Ertrinkenden zu tun, dass er ein Populist ist, wie vielfach auch von den Medien kolportiert, entspricht auch den Tatsachen, aber das mediale Schockbewusstsein über das Wahlergebnis ist im Wesentlichen nur Ausdruck der Aufgabe, welche die Medien in der westlichen Welt seit Jahrzehnten erfüllen: eine systemkonforme Berichterstattung. In einer solchen kommt das Erstaunen gut an, eine Erklärung der Hintergründe hingegen könnte ein systemkritisches Bewusstsein schaffen, die Menschen dazu anregen, über ein System nachzudenken, vor allem aber darüber, was man tun kann, um es zu verändern.

Trump, selbst Symbol für jene Finanzeliten, die von diesem neoliberalen System profitieren und profitiert haben, wird aus eigenem Interesse und auf Druck der global agierenden Konzerne im Wesentlichen jene Politik fortsetzen, welche seine Wähler, auf deren Ohnmacht er sich zum Schein kurzfristig eingelassen hat, gerne beendet gewusst hätten. Das ist keine Katastrophe für die Eliten, im Gegenteil. Es wird sich aber zu einer weiteren Form der Agonie bei den Wählern entwickeln, wobei noch nicht abzusehen ist, wohin diese letztlich führt.

Warum aber ist im Unterschied zu den Rechtsparteien die internationale Linke so erfolglos in ihrem Kampf gegen neoliberale Politik, gegen Entdemokratisierung, gegen die Herrschaft des Kapitals? Meiner Meinung nach gibt es im Wesentlichen mehrere Erklärungen dafür.

Diese Parteien haben den ideologischen Kampf bereits zu dem Zeitpunkt verloren, als die Arbeitnehmer sich den Zwängen des Kapitalismus freiwillig unterwarfen, um so auch einen kleinen Anteil an den Gewinnen zu erhaschen. Dieser Prozess führte aber auch dazu, dass die Macht der Gewerkschaften, auf welche sich insbesondere die Arbeiterschaft stützte, sukzessive ausgehöhlt wurde. Deren Führer akzeptieren mittlerweile bei spärlich verbliebener Kritik an den Auswüchsen des neoliberalen Systems sowohl dieses selbst als auch dessen Credo vom freien Markt und schlanken Staat. Als Folge davon konnte die Linke, im Gegensatz zu den rechtspopulistisch agierenden Parteien, den Bürgern keine homogene Weltvorstellung mehr anbieten. Diese fehlende Homogenität führt letztlich auch dazu, dass sich beispielsweise eine in Griechenland an die Macht gekommene Linkspartei gezwungen sieht dem neoliberalen Druck nachzugeben, um wenigstens kurzfristig an der Macht zu bleiben.

Ein Wort noch zur Rolle der Intellektuellen an den Schulen und Universitäten der westlichen Welt. Wäre es nicht ihre Aufgabe gegen diesen Niedergang unserer Demokratien, gegen ein Wirtschaftssystem, welches den Menschen zu einer Ware degradiert, das weltweit Armut, Verzweiflung und Katastrophen produziert, anzukämpfen? Eigentlich wäre es deren Bildungsauftrag, das System kritisch zu hinterfragen, Hintergründe politischen und wirtschaftlichen Handelns bewusst zu machen, den Menschen Werkzeuge in die Hand zu geben, mit deren Hilfe sie die verloren gegangenen Freiheiten wieder zurückerobern könnten. Aber in unseren Schulen wird Unterricht im Wesentlichen als Bestätigung des Systems betrieben, die Schülerinnen und Schüler auf Rollenbilder vorbereitet, welche darauf abzielen, in Fällen von Agonie und Ohnmacht das individuelle Überleben bestmöglich zu sichern.

An den Universitäten wird dieser Verbildungskurs fortgesetzt , nicht zuletzt auch deshalb, weil für die Lehrenden die eigenen Karrierechancen vielfach an diese systemische Verifikation gebunden sind.

Die Katastrophe der amerikanischen Präsidentschaftswahl besteht nicht im Wahlergebnis, dieses kam demokratisch zustande. Sie besteht darin, dass ein Demokratieverständnis so wie nahezu auch in allen westlichen Staaten über Jahrzehnte bewusst ausgehöhlt und zu einer Farce entartet wurde. Sie besteht darin, dass das Ergebnis nicht zum grundsätzlichen Hinterfragen des Systems beiträgt, sondern es bestätigt. Es hat gezeigt, wie sehr die Medien, aber auch die so genannten Intellektuellen die Bevölkerung einlullen, selbst im Interesse des Systems agieren und kaum mehr im Stande sind kritisches Bewusstsein zu entwickeln.

(Mag. Gerhard Kohlmaier, 13.11.2016, www.steuerini.at)


 


 
Die SPÖ geht wieder einmal in die Knie! Drucken E-Mail

 

Handelsabkommen sind nicht per se schlecht. Sie exisitieren weltweit, um den Handel zwischen Staaten Regeln zu unterwerfen, ihn zu reglementieren. So kann man sich über Aus- und Einfuhrbedingungen von Gütern einigen, ohne dem Staatsganzen, dem notwendigen Blick auf das Gemeinwohl der Menschen, der Umwelt, den Wettbewerbsbedingungen usw. in den betroffenen Ländern zu schaden. Allerdings dienen die meisten Abkommen in der Praxis nur der Beseitigung von Markthindernissen und der Erhöhung der Profitrate.

Das neue Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU, CETA, stellt nun ebenfalls das Wohl der Konzerne, deren wirtschaftliche Interessen und deren Gier nach mehr Gewinn über das Gemeinwohl. Dass dadurch neue Arbeitsplätze entstehen, glaubt niemand, der die Machenschaften großer Konzerne heute verfolgt. Im Gegenteil: Es ist zu befürchten, dass das Abkommen unter dem Strich Arbeitsplätze kosten wird.

Aber dieses Abkommen beinhaltet eine völlig neue Qualität zur Durchsetzung von Konzerninteressen - die Ausschaltung der lokalen, staatlichen Gerichtsbarkeit z.B. in Fragen des Wettbewerbs. Betrachtet beispielsweise ein Konzern durch die staatliche Gesetzgebung seine Interessen als gefährdet (So verlangt der schwedische Atomkonzern Vattenfall von der dt. Bundesregierung Milliarden, weil diese Atomkraftwerke stillgelegt hat), dann wird dies, vorbei an den staatlichen Institutionen des Justizwesens in einem gleichsam privaten Schiedsgericht geklärt. Dieses Vorhaben zu unterstützen ist vor allem deshalb so absurd, weil die Interessensvertreter der parlamentarischen Demokratien dadurch einen der Grundpfeiler des demokratischen Staatswesens - die unabhängige Gerichtsbarkeit - untergraben und aushebeln.

Viele Kritiker des Abkommens sehen dadurch auch Umweltstandards gefährdet. Große Konzerne haben - wie wir alle wissen - ein Interesse an schnellen Gewinnen, nicht aber an der Einhaltung von Umweltstandards, weil diese die Gewinnspanne schmälern. Der Blick auf die Zukunft, auf eine lebenswerte Umwelt für künftige Generationen bleibt dabei auf der Strecke. Wir müssen jedoch gerade in Umweltfragen einen anderen Kurs fahren, wenn wir nicht wollen, dass wir die Lebensgrundlagen auf unserem Kontinent zerstören. Nicht nur aus dem Grunde, weil die Konsequenzen der Klimaerwärmung auf absehbare Zeit ganze Landstriche unbewohnt machen werden, sondern vor allem auch deshalb, weil die Folgen der Klimakatastrophe und anderer Umweltschädigungen bald von keinem Staat mehr finanziert werden können. Umweltschutz muss endlich als Selbstschutz begriffen werden, als Grundvoraussetzung sowohl für Leben als auch für nachhaltiges Wirtschaften.

Zuerst der Schutz, dann das Wirtschaften, muss die Devise lauten. Dem Handel eine Priorität einzugestehen, ist gerade in der heutigen Situation, wo wir die Auswirkungen unserer jahrelangen Kurzsichtigkeit weltweit hautnah spüren, mehr als absurd.

Schließlich stellt sich immer mehr die Frage, wie sinnvoll globales Wirtschaften überhaupt ist. Lohndruck und menschenunwürdige Produktionsbedingungen, Verdrängungswettbewerbe und Steuerflucht der Konzerne, Vernichtung regionaler Wirtschaftskreisläufe usw. sind zumindest auch ein wesentliches Kennzeichen globaler Wirtschaftspolitik. Deren Resultat sind wenige Machteliten, welche in der Lage sind durch ihren Einfluss und mittels ihres Geldes ganze Staaten und Völker politisch unter Druck zu setzen oder gar zu erpressen.

Wenn Politiker, welcher Partei auch immer sie angehören, wenn Interessensverbände dem Wohl der Wirtschaft und der Konzerne höhere Priorität einräumen als dem Wohl der Menschen und der Sicherung von deren Lebensgrundlagen, dann ist es sowohl um die Zukunft unseres Kontinents als auch um die demokratischen Staatswesen schlecht bestellt. Widerstand wird dort zur Pflicht, wo das Gesamtwohl der Bürgerinnen und Bürger den Interessen weniger untergeordnet wird.

Ein belgisches Regionalparlament hat am Freitag, dem 14.Oktober mit überwältigender Mehrheit (46:16 Stimmen) beschlossen, dem CETA-Abkommen in der derzeitigen Fassung nicht zuzustimmen. Das hat zur Folge, dass auch die Zentralregierung den Pakt nicht unterzeichnen darf. Das war vielleicht auch ein mutiger Schritt, auf jeden Fall aber ein notwendiger, wenn man Politik mit Verantwortungsbewusstsein im Staats- und Bürgerinteresse betreibt.

Der österreichische Bundeskanzler Kern hingegen hat am selben Tag nach Beratungen mit seinen SPÖ-Genossen gegen die Haltung der Gewerkschaft, aber wohl unter dem Druck des Koalitionspartners ÖVP, welcher für das Abkommen eintritt, seine Marschroute geändert und die Unterschrift unter den Vertrag zugesichert. Offensichtlich erschien ihm das mediale Gepolter um seine pseudokritische Haltung zum Abkommen in den letzten Wochen als ausreichend, um den Schein zu erwecken, er hätte mit seinem Pseudoveto irgendetwas Entscheidendes bewirkt. In Wahrheit sind alle Punkte, die von ihm kritisiert wurden, nach wie vor Vertragsbestandteile. Das wird eben auch vom belgischen Regionalparlament oder der SPÖ-Gewerkschaft so gesehen.

 

Diese Haltung ist in Hinblick auf das Szenario, welches CETA ermöglicht, mehr als verantwortungslos. Sie ist beschämend für eine sozialdemokratische Partei, welche vorgibt, die sozialen Interessen der Bürger zu vertreten, sie ist beschämend für eine Regierung, welche schon längst nicht mehr zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger im Lande agiert.


(Mag. Gerhard Kohlmaier, Steuerinitiative im ÖGB, 14.10.2016)

 
CETA: Sie haben es in der Hand! Drucken E-Mail

 

Die CETA-Befürworter hatten und haben immer mit Widerstand gegen ihren Handelspakt gerechnet. Es wäre auch unlogisch gewesen dies nicht zu tun, da der Vertrag in erster Linie ein Interessensvertrag ist, welcher wirtschaftliche Interessen von Konzernen eindeutig über soziale Interessen der Menschen stellt. Freier Handel anstelle der Freiheit der Menschen - ein höchst problematisches Verständnis von Ökonomie, welches auf berechtigten Widerstand der Menschen treffen musste.

Aus diesem Grunde hat man wohl auch schon längere Zeit an einem Beschwichtigungstext gefeilt, welcher den Vertragsinhalt abschwächt oder gar verharmlost und der (scheinbar) aufmüpfigen Regierungsvertretern als Rechtfertigung dafür dienen soll, warum sie das Vertragswerk trotz Widerstands der Bürger unterzeichnen. Denn letztere tun sich beim Regieren gegen das Volk zunehmend schwer, nachdem dieses Volk einen recht beachtlichen Widerstand gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA entwickelt hat. Dieser Beschwichtigungstext liegt nun vor. (siehe:

http://www.steuerini.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=18&Itemid=22


Dass diese Zusatzerklärung jedoch am Inhalt des Vertragstextes im Wesentlichen nichts ändert, wurde u.a. sehr ausführlich vom regierungskritischen NGO-Netzwerk ATTAC Österreich herausgearbeitet: (siehe dazu: http://www.attac.at/news/detailansicht/datum/2016/10/06/ceta-zusatzerklaerung-alle-kritikpunkte-bleiben-aufrecht.html)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Erfreulich ist in der jüngsten Entwicklung auch, dass der ÖGB, der das Freihandelsabkommen immer abgelehnt hat, auch einen Tag nach dem Erscheinen des Beschwichtigungstextes bei seiner Haltung blieb und diese auch in einem E-Mail der volkswirtschaftlichen Abteilung des ÖGB an alle Ministerien kund tat.

Aber bereits kurz darauf ließ OGB-Chef Foglar wissen, dass diese Mails nicht die offizielle Haltung des ÖGB präsentierten und diese erst noch zu verkünden wäre.

Alles andere als eine weitere Ablehnung des Abkommens wäre nach der vorliegenden Zusatzerklärung nichts anderes als eine gehörige Watsche ins Gesicht all jener Gewerkschafter, welche sich in den vergangenen Jahren aktiv gegen dieses Freihandelsabkommen gestellt haben. Es bleibt zu hoffen, dass diese Selbstgeißelung nicht eintritt und die Spitze des ÖGB jene Seite der Interessen wahrt, welche sie zu wahren hat: die der Arbeitnehmer und nicht die der Großkonzerne.

Aber auch in der SPÖ selbst sollte man nun klug handeln. Kanzler Kern hatte das fertige Vertragswerk heftig kritisiert, auf inhaltliche Änderungen gedrängt und angekündigt, er werde das Vertragswerk ohne diese Änderungen nicht unterzeichnen. Diese liegen nun auch nach dem Zusatztext nicht vor. Will Kern also glaubhaft bleiben, so muss er, insbesondere auch nach der erfolgten parteiinternen Migliederbefragung, bei der das Abkommen mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurde, bei seiner Linie bleiben. Auch er wird sich wohl entscheiden müssen, ob er für die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land eintritt oder für die Interessen weniger Großkonzerne.

Entgegen der Haltung von EU-Präsident Juncker, welcher das Abkommen als rein europäisches Projekt nur vom EU-Parlament absegnen lassen wollte, beharrte u.a. auch Kanzler Kern darauf, all jene Punkte des Paktes, die in nationale Zuständigkeit fallen, auch der Abstimmung der jeweiligen Parlamente zu unterziehen. Das bedeutet also, dass das österreichische Parlament darüber entscheiden kann, ob CETA letztlich in Kraft tritt oder nicht. Auch hier wird sich zeigen, für wessen Interessen die österreichischen Volksvertreter sich stark machen werden.

 

Entscheidend ist in der derzeitigen Situation, dass nach all dem Widerstand, der von großen Teilen der Bevölkerung Europas diesem Freihandelsabkommen über viele Jahre entgegengebracht wurde, es nach wie vor in der Macht des ÖGB, der SPÖ und letztlich all unserer Volksvertretern (CETA wurde und wird auch von den GRÜNEN und der FPÖ abgelehnt) liegt, dieses Regelwerk zu verhindern. Es liegt an ihnen und sie werden an ihren Taten gemessen werden!


(Mag. Gerhard Kohlmaier, Steuerinitiative im ÖGB, www.steuerini.at,  9.10.2016)


 
Wer den Sozialstaat erhalten will, muss endlich handeln! Drucken E-Mail

 

Zwei Themen waren es überwiegend, welche die politische Sommerpause dominierten: Außenpolitisch das Konfliktfeld Türkei und in dessen Folge die Flüchtlingsproblematik, innenpolitisch die Forderung nach Einführung einer Wertschöpfungsabgabe.

 

Wir können davon ausgehen, dass es auch diese Themen sein werden, die den politischen Herbst einleiten werden. Ich möchte mich daher heute ausführlich mit der Wertschöpfungsabgabe beschäftigen.

 

Hartnäckig stoßen die Befürworter einer Wertschöpfungsabgabe auf den Einspruch der meist christlich-sozialen Gegner, welche die Forderung als eine linkssozialistische Phantasterei abtun. Sie betonen nahezu reflexartig, sie seien gegen jede Neueinführung von Steuern, weil die Steuerbelastung für Betriebe in Österreich ohnedies bereits zu hoch sei und Arbeit zu hoch besteuert werde. Wie recht sie doch dabei haben. Allerdings verdeckt dieser Reflex die eigentliche Problematik und verschweigt bewusst, dass eine Besteuerung der Betriebe auf Grundlage ihrer Wertschöpfung einerseits zahlreiche Betriebe sowie den Faktor Arbeit steuerlich entlasten würde, andererseits dass in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der Arbeitsplätze zugunsten von Maschinen wegrationalisiert werden letztere die Rolle von Steuerzahlern übernehmen müssen. Schließlich verschweigen sie aber auch, dass diese Forderung aus christlich-sozialen Kreisen stammt.

 

Entgegen der herkömmlichen Meinung, die Wertschöpfungsabgabe bzw. Maschinensteuer sei eine Erfindung des Sozialdemokraten Alfred Dallinger in den 80er-Jahren, wies der inzwischen emeritierte Professor für Politikwissenschaft Emmerich Talos wiederholt darauf hin, dass die Forderung nach einer Maschinensteuer vom christlich-sozialen Kanzler des austrofaschistischen Ständestaates Engelbert Dollfuß aus dem Jahre 1933 stammt.

Dollfuß hatte in seiner Trabrennplatzrede am 11. September 1933 anläßlich des Katholikentages folgendes gesagt:

 

„Aber auch auf sozialem Gebiete muss die berufsständische Auffassung und gesellschaftliche Eingliederung des Menschen betont werden. Auch hier stehen uns unmittelbar konkrete Aufgaben gegenüber. Es ist auf die Dauer nicht haltbar, dass die Kosten der notwendigen sozialen Fürsorge nur die tragen, die Arbeiter beschäftigen. Die heutige Form der Aufbringung der Mittel für soziale Zwecke der Arbeiter und Angestellten belasten nur den, der Arbeiter und Angestellte hat, und wer die Arbeiter aus dem Betriebe hinausgeworfen und durch Maschinen ersetzt hat, bekommt eine zehn- bis fünfzehnprozentige Investitionsbegünstigung dafür, dass er statt Menschen Maschinen eingestellt hat. Damit kommen wir dem Problem der sozialen Notwendigkeit auf die Dauer nicht nach, dass wir Löhne kürzen und streichen; das Schwergewicht muss darauf gelegt werden, die Aufbringung der Mittel auf eine gleiche Basis zu legen, und die Einstellung neuer Arbeiter darf nicht Anlass zu neuen Lasten und Belastungen sein. Hier haben wir ganz konkrete Wege vor Augen, und ich hoffe, wenn die sozialen Lasten auf eine andere, gerechtere Weise hereingebracht werden und die Einstellung von Arbeitern nicht mehr schon am nächsten Tage mit Beitragsvorschreibungen bestraft wird, dann wird ein Appell an die kleinen und großen Betriebe: Denk daran, dass Hunderttausende Menschen um Arbeit bitten und beten, nehmt Arbeiter in eure Betriebe, dann wird dieser Appell wirklich gehört werden. Ich bin überzeugt, dass durch diese Maßnahme allein wir ein Drittel unserer Arbeitslosen wieder in reelle Arbeit werden bringen können. Es sind arme Menschen, denen der Staat in erster Linie zu helfen die Pflicht hat, die trotz ernstlichen Wollens nicht die Möglichkeit finden, für ihre Familie Brot zu verdienen. Sie können gewiss sein, dass wir uns dieser Sorge unermüdlich widmen, und ich hoffe, dass der angedeutete Weg der richtige ist. Wir kämpfen gegen den Marxismus, wir kämpfen auch gegen den braunen Sozialismus, aber wir werden niemals die Lebens- und Grundrechte der Arbeiter antasten, im Gegenteil, ein gerechter christlicher Staat muss gerade den Ansprüchen der arbeitenden Menschen in erster Linie gerecht werden. Das wollen wir.“  (http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Symbole/Faschismus_-_die_Symbole/Trabrennplatzrede_1933)

Zum Zeitpunkt der Rede betrug die Arbeitslosigkeit in Österreich 26 Prozent. Dollfuß hatte erkannt, dass in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit eine Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge durch Unternehmensbeiträge, welche auf der Lohnsumme basieren und nicht auf der Wertschöpfung des Unternehmens, absurd sind.

 

Die Forderung nach einer Besteuerung der Wertschöpfung ist also ursprünglich eine christlich-soziale und nicht eine sozialdemokratische. Dabei ist es völlig belanglos, dass Dollfuß damit natürlich niemals eine Stärkung sozialdemokratischer oder gar marxistischer Positionen ins Auge gefasst hat. Sie entsprang einzig und allein aus der Notwendigkeit einer anderen Finanzierung des Sozialsystems unter geänderten wirtschaftlichen Produktionsbedingungen.

 

Diese haben sich in den letzten 80 Jahren mehr als verschärft. Die Automatisierung hat beängstigende Ausmaße angenommen, denn sie wächst deutlich schneller als die Märkte.

Maschinen ersetzen deutlich mehr Menschen als für deren Herstellung benötigt werden. Die Produktivität ist jedoch in all diesen automatisierten Bereichen deutlich gestiegen.

Und diese Entwicklung schreitet nach wie vor zügig voran, nicht nur im Bereich der Produktion, sondern insbesondere auch im Bereich der Verwaltung, der Finanzen und der Logistik.

 

Die Oxford-Studie „The Future of Employment: How susceptible are Jobs to Computerisation“ (http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf) vom September 2013 kommt zu dem Schluss, dass in den USA in den nächsten 20 Jahren ca. 47% aller Arbeitsplätze zum Opfer fallen werden. Aber auch für Deutschland prophezeit eine Studie von Frey und Osborne aus dem Jahre 2013 ähnliche Ergebnisse (http://www.welt.de/wirtschaft/article140401411/Maschinen-koennten-18-Millionen-Arbeitnehmer-verdraengen.html) Demnach sind dort 59% aller Berufe durch Roboter- und Maschineneinsatz gefährdet, also ein noch stärkeres Gefahrenpotential als in den USA. Es wird in Hinkunft nur mehr sehr wenige Berufsfelder geben, welche von dieser Entwicklung verschont bleiben. Neue Berufsfelder, durch welche die verloren gegangenen Arbeitsplätze ersetzt werden können, stehen nach der Meinung der Autoren nicht in Aussicht.

 

Tatsache ist also, dass wir trotz der schon jetzt sehr angespannten Situation am Arbeitsmarkt damit rechnen müssen, dass die Arbeitslosenquote weltweit dramatisch ansteigen wird. Damit sägt sich das kapitalistische System jedoch selbst den Ast ab, auf dem es sitzt, denn wenn Arbeiter keinen Lohn mehr erhalten, mit dem sie als Konsumenten für die Vermehrung von Kapital sorgen, dann hört sich jegliche Akkumulation von Kapital auf. Diese Entwicklung zu einer neuen Massenarbeitslosigkeit sehen zahlreiche Ökonomen als unausweichlich an, darunter Andrew AcAfee, Erik Brynjolfsson, Tyler Cowen, Jeremy Rifkin oder der IT-Experte Martin Ford.

 

Gerade in den Industrieländern und in Europa ist diese Entwicklung bereits voll im Gange, noch dazu gepaart mit einer Flüchtlingswelle aus dem nahen Osten, die nur ein leichter Vorgeschmack auf eine wesentlich massivere Einwanderungswelle aus afrikanischen Ländern sein könnte. Menschen flüchten nicht nur vor Krieg und Verfolgung, sie flüchten auch dann, wenn sie ihrer Existenzgrundlage beraubt werden. Das kann durch einen Mangel an Trinkwasser geschehen, aber ebenso durch veränderte klimatische Bedingungen, welche ein Überleben in einigen Gebieten dieser Erde unmöglich machen. Gerade aber diese Immigrationswelle verschärft die Problematik am Arbeitsmarkt in zahlreichen Ländern zusätzlich.

 

Was bedeutet es also, wenn man in dieser Situation die Steuerbelastung von Betrieben nach wie vor an der Lohnsumme berechnet? Einerseits schafft man damit einen noch stärkeren Anreiz für die Automatisierung, weil dadurch die Steuerbelastung verringert wird und die Gewinnspanne vergrößert. Andererseits legt man damit aber auch den Grundstein für noch größere Arbeitslosenheere, für den Abbau von bestehenden Sozialsystemen, für Massenarmut und letztlich auch für die vollständige Aushöhlung eines funktionierenden Wohlfahrtsstaates.

 

Die Wertschöpfungsabgabe ist daher ein Gebot der Stunde. Denn einerseits kann unser Sozialsystem durch die überwiegende Besteuerung von Arbeit, also von Löhnen und Gehältern, in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten werden, andererseits ist sie aber auch ein Beitrag zur gerechteren Finanzierung des Wohlfahrtsstaates, denn es ist nicht einzusehen, dass arbeitsintensive wirtschaftliche Bereiche den Löwenanteil an der Finanzierung tragen, während kapitalintensive, automatisierte Bereiche der Arbeitswelt, deren Wertschöpfung jedoch meist höher als die ersterer ist, vergleichsweise wenig dazu beitragen. Alleine der zu erwartende zusätzliche Bedarf an Pflegekosten in den nächsten Jahren sowie an Kosten für Arbeitslose und Asylwerber macht deutlich, dass für die Finanzierung des Sozialstaates die Bemessungsgrundlage erweitert werden muss.

 

Nicht nur Löhne und Gehälter, sondern etwa auch auch Mieten, Pachten, Gewinne und Fremdkapitalzinsen sollen als Berechnungsgrundlage dienen. Selbstverständlich führt die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht nur zu Vorteilen in allen Bereichen der Arbeitswelt, sondern man muss insbesondere bei kleinen Betrieben mitunter auch gegensteuern, etwa durch Freibeträge, oder Investitionen, die für die Wettbewerbsfähigkeit eines Betriebes notwendig sind, sollen der Abgabe nicht unterworfen sein. Klar ist jedoch, dass solche Problemfelder kein Hinderungsgrund für die Umstellung der Bemessungsgrundlage sein dürfen. Sie haben, abhängig von Durchrechnungsmodellen, Bestandteil  von Verhandlungen zu sein.

 

Wenn die Gegner einer Wertschöpfungsabgabe jedoch einwenden, man könne denselben Effekt erzielen, wenn der Staat Einsparungen tätigt, so ist dies einerseits ein Zynismus auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft, andererseits aber auch eine Absage an einen sozialen Staat von jenen wenigen Prozent in unserer Gesellschaft, welche auf diesen, allerdings nur kurzfristig gedacht, nicht angewiesen sind. Wohin Einsparungen im Sozialbereich, bei Arbeitslosengeldern, bei Pensionen, in der Gesundheitsvorsorge führen, kann man am besten am Beispiel Griechenlands sehen. Statt dem Land Impulse zu geben haben sie dazu geführt, dass der Austeritätskurs bewirkt hat, dass das Land in einer vollkommenen Agonie, welche nahezu alle Lebensbereiche erfasst hat, dahintümpelt.

 

Der Vorschlag von Bundeskanzler Kern, die Wertschöpfungsabgabe fürs Erste nur an der Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds zu erproben, mag zwar ein taktisches Manöver sein, um den Koalitionspartner von der Notwendigkeit einer Umstellung zu überzeugen, er reicht jedoch bei Weitem nicht aus, um unser gesamtes Sozialsystem nachhaltig abzusichern. Die Umstellung von der Lohnsummenbesteuerung hin zur Besteuerung der Wertschöpfung ist ein Gebot der Stunde! (Gerhard Kohlmaier, 28.8.2016)

 

 

 

 

 

 

 

 

 
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