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An ÖVP und SPÖ: Ja, spürt ihr euch noch!

 

Die EU-Wahl ist geschlagen und hat in Österreich erstmals zu einem klaren bundesweiten Sieg der FPÖ geführt, welche mit 25,36% ihre Mandatszahl auf 6 verdoppeln konnte. Auf Platz zwei landete mit einem Minus von 10,03% die ÖVP (24,52%), gefolgt von der SPÖ mit 23,22% (ein Minus von 0,67%). Die GRÜNEN verloren im Vergleich zur letzten Wahl 3% und erhielten 11,08% der Wählerstimmen, gefolgt von den NEOS mit 10,14%, welche jedoch 1,7% zulegen und damit ihre Mandatszahl immerhin von einem auf zwei Mandate verdoppeln konnten.

 

Überraschend war die Reaktion von ÖVP und SPÖ auf das katastrophale Wahlergebnis. Beide Parteien waren sich im Wesentlichen einig darüber, dass die Niederlage als Sieg zu deuten sei, hatten doch Umfragen vor der Wahl einen höheren FPÖ-Sieg vorausgesehen. Insbesondere die ÖVP bzw. deren Generalsekretär Christian Stocker deuten das Wahlergebnis nun als offenes Rennen zwischen ÖVP-Kanzler Nehammer und FPÖ-Parteichef Kickl

in Hinblick auf die bevorstehenden Nationalratswahlen im September 2024 und sehen ihren politischen Kurs in wichtigen Fragen bestätigt. Und das bei einem Verlust von 10% der Stimmen!

 

Diese Hybris der Großparteien, welche durch ihre katastrophale Politik in den letzten Jahren den Wahlerfolg der rechtsorientierten, populistischen Freiheitlichen überhaupt erst ermöglicht hat, lässt somit kein Umdenken dieser Altparteien erwarten.

 

Bei Weitem sind nicht alle Wähler der FPÖ rechtsradikal, im Gegenteil, man muss davon ausgehen, dass der überwiegende Teil der Wählerschaft einfach die Nase von den ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ voll hat und ihnen kein Vertrauen mehr entgegenbringt, was die Vertretung ihrer Interessen betrifft. FPÖ zu wählen war für eine hohe Zahl an Wählern einerseits ein klarer Protest gegen die herrschende Politik der Großparteien, andererseits aber auch ein emotionaler Hilferuf im Sinne einer Verzweiflungstat.

Und auf dieses Wahldilemma reagieren die betroffenen Parteien nun mit einer Art von Siegesfeier, die erst recht keiner der verzweifelten Wähler mehr verstehen kann und verstehen wird. Man kann diese Haltung von ÖVP und SPÖ nur noch als Unfähigkeit der politischen Führung betrachten, die längst nicht mehr in der Lage zu sein scheint zu erkennen, was das Volk bewegt und vor allem, warum.

 

Die nächste große Niederlage von ÖVP und SPÖ ist somit bereits vorprogrammiert, und das wäre auch in keiner Weise problematisch, handelte es sich bei der FPÖ nicht um eine Partei, welche aufgrund ihres rechtsradikalen Kerns, ihres Hanges zu populistischen Aktionen, ihres ausgeprägten Nationalismus und des bereits erbrachten Beweises in Regierungsämtern, an echten Lösungen im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung überhaupt nicht interessiert zu sein, letztlich um eine Partei, welche zu einer ernsthaften Gefahr für die letzten Überbleibsel demokratischen Denkens in diesem Land geworden ist.

 

Um der FPÖ unter Kickl bei den kommenden Nationalratswahlen eventuell noch einige Wählerstimmen abspenstig zu machen, preschen nun Spitzenpolitiker von SPÖ und ÖVP sowie unzählige Berater der Parteien vor und fordern eine Annäherung der Parteien auf den Rechtsruck der FPÖ.

Zumindest in der Migrationsfrage sei das unbedingt notwendig, trompeten Parteienvertreter, Berater, aber auch zahlreiche Medien. Dann könne man eventuell, so die Botschaft, noch das Schlimmste verhindern.

 

Einen größeren Blödsinn habe ich noch nie gehört. Was hieße das denn? Annäherung an eine ausländerfeindliche, rassistisch angehauchte Politik, welche europäische Lösungsstrategien torpediert und nationale propagiert, und zwar im Wissen, dass dies letztlich unmöglich ist. Das Gegenteil ist den beiden Parteien zu raten, nämlich eine noch deutlichere Abgrenzung von einer menschenverachtenden Politik einer Partei, welche sich nicht einmal vom perfiden Plan der deutschen AFD, Millionen von Menschen, auch mit deutscher Staatsbürgerschaft ausweisen zu wollen, distanziert, sondern dafür offen erklärt. Man müsse eben die Europäische Menschenrechtskonvention verändern, meinte Kickl, damit dies möglich sei (Standard-Interview vom 10.1.2024)

 

Was kommt als nächstes? Ausweisung von Minderheiten, von Behinderten, von Menschen, die nicht die Meinung der FPÖ vertreten, "ausputzen bis in die letzten Enden dieser Republik", wie Parteichef Kickl am Tag der Arbeit in Linz angekündigt hat?  Unsere Geschichte ist gebrandmarkt von dieser Art von Politik. Wollen wir dahin zurückfallen?

 

Dass die Migrationspolitik der Regierungen in Österreich, Deutschland und in anderen europäischen Ländern seit Jahren katastrophal ist, mag ja richtig sein, aber das kann noch lange kein Grund für Parteien wie der ÖVP und der SPÖ sein, sich dem rechtspopulistischen Gezeter einer FPÖ anzuschließen. Lösungen müssen auf den Tisch, das ja. Diesbezüglich sind die alten Großparteien säumig, untereinander zerstritten und intern uneins. Die Menschen in diesem Land erwarten sich diese Lösungen zu Recht, es geht darum, sie zu schaffen bzw. dort, wo sie in den Parteien zumindest ansatzweise vorhanden sind, dementsprechend zu kommunizieren. Sich aus Angst vor einer Wahlniederlage einer FPÖ anzubiedern bzw. deren Migrationskurs fahren zu wollen, wird einerseits von den Wählern durchschaut werden und würde einen Wahlsieg der FPÖ noch wahrscheinlicher machen würde, als es ohnedies bereits der Fall ist.

Andererseits wäre dieser Kurs ein über viele Jahre hinweg kaum mehr gut zu machender Fehler. Ob sich die Ludwigs, Bablers, Kaisers, Doskozils, Nehammers, Stockers und Mikl-Leitners dieser Republik dessen bewusst sind oder ob es ihnen nach wie vor nur um die Erhaltung ihrer persönlichen Pfründe geht, wird man sehen.

 

Mag. Gerhard Kohlmaier, Steuerinitiative im ÖGB, 11.6.2024