Akt. Thema, 1.12.2019: 20 Jahre lang die Weichen gestellt Drucken

 

Im Dezember 1999, also vor 20 Jahren, gründete ich - zusammen mit meinem Bruder Hans Kohlmaier und Funktionären aus dem ÖGB - die überfraktionelle „Steuerinitiative im ÖGB“. Sowohl die Arbeitnehmerpolitik der Gewerkschaften, welche sich bereits damals an der Verhinderung der schlimmsten Übel für die Arbeitnehmer orientierte und dabei sukzessive die Verschlechterung der Arbeitnehmerrechte hinnahm, als auch die neoliberale Regierungspolitik von ÖVP und SPÖ wollten wir durch eine Änderung der Steuerpolitik wieder eine Politik im Interesse der Mehrheit der Menschen in unserem Lande entgegensetzen. Und das in der Hoffnung, dass zumindest der ÖGB sowie die Sozialdemokratie diese Chance wahrnehmen und daraus gestärkt hervorgehen.

Gemäß unserem Grundsatz, dass uns keine objektiven Gesetze bekannt sind, nach denen die Mehrheit des volkswirtschaftlichen Reichtums nur einer Minderheit von Menschen zugute kommen soll, traten und treten wir für eine Umverteilung des volkswirtschaftlichen Reichtums von oben nach unten ein.

Wir sind daher die erste Initiative in Österreich, die sich bereits seit 20 Jahren, also noch bevor es Organisationen wie ATTAC in unserem Land überhaupt gab, für eine Ablöse der Lohnsummenbesteuerung durch eine Wertschöpfungsabgabe sowie für eine Finanztransaktionssteuer (Tobin-Tax) und eine neue ökologische Steuerausrichtung bei sozialem Ausgleich einsetzt. Und wir haben zur Durchsetzung dieser Politik von Anbeginn unserer Aktivitäten darauf hingewiesen, dass neoliberaler Politik nur durch einen Schulterschluss zahlreicher Organisationen über alle Parteigrenzen hinweg ein Ende gesetzt werden kann, und zwar nach ausführlicher Debatte am Boden demokratischer Mitbestimmung durch eine Volksabstimmung zur Änderung des Steuersystems.

Nun sind also 20 Jahre vergangen und wir haben uns zumindest in zweifacher Hinsicht getäuscht: ÖGB und SPÖ haben diesen Zeitraum im Wesentlichen ungenützt verstreichen lassen. Anstatt die politische Themenführerschaft im Interesse der Mehrheit der Bürger zu übernehmen, haben sie diese Möglichkeit ungenützt verstreichen lassen und sich selbst neoliberalen Zielen verschrieben bzw. deren Umsetzung gewähren lassen. Die Folge davon ist die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Gewerkschaftsbewegung sowie der Sozialdemokratie. Aber auch die Vielzahl von NGOs sowie Organisationen, für welche selbst die Durchsetzung ihrer berechtigten Interessen unmittelbar mit dieser Änderung des Steuersystems verbunden ist, haben bis dato nicht erkannt, dass nur ein gemeinsames Vorgehen in dieser Frage zum Erfolg führen kann. Sie haben offenbar weder unseren Vorschlag zur Gründung von Wahlgemeinschaften noch den von Volksabstimmungen begriffen und mühen sich nach wie vor damit ab, mit dem relativ zahnlosen Mittel von Volksbegehren wenigstens eine mediale Kurzzeitaufmerksamkeit zu erzielen.

War es also umsonst, was wir 20 Jahre lang versucht haben voranzutreiben? Hat die politische Realität unsere Forderungen entkräftet oder gar überflüssig gemacht?

Mitnichten, sie sind aktueller denn je zuvor. Wir haben es mit einer drastischen Zunahme der Umverteilung der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung von unten nach oben zu tun. Eine Steuerpolitik zum Wohle von Vermögenden und von Konzernen bringt nicht nur immer mehr Bürger um ihren gerechten Anteil am Erwirtschafteten, sie gefährdet selbst die Absicherung letzterer durch einen funktionierenden Sozialstaat und nimmt - wenn notwendig - zur Durchsetzung von Interessen Weniger die gesamten Staatsbürger in Geiselhaft, wie die Finanz- und Bankenkrise bewiesen hat. Steuerprogression und die derzeitige Zinspolitik kommen einer schleichenden Enteignung zahlreicher Bürger gleich. Zudem hat eine falsche Steuerpolitik im ökologischen Bereich wesentlich dazu beigetragen, dass wir unsere Umwelt nachhaltig geschädigt und eine Klimakatastrophe heraufbeschworen haben, welche uns nun schier vor unlösbare Probleme stellt.

Nach wie vor werden dem spekulativen Kapital großzügige Freiheiten eingeräumt, sodass die Gefahr eines Zusammenbruchs von Währungen immer noch in hohem Maße gegeben ist, nach wie vor ist Österreich unter den Schlusslichtern aller OECD-Staaten, was die Besteuerung von Vermögen betrifft, zu finden.

Wir haben diese Entwicklung bereits vor zwei Jahrzehnten vorausgesehen. Wir haben Vorschläge unterbreitet, um dagegen zu steuern - und wir werden auch in Zukunft nicht locker lassen und eine Änderung des Steuersystems als eine der wichtigsten politischen Forderungen für die Zukunft verlangen.

Immer mehr Menschen erkennen, dass es so nicht weitergehen kann, dass uns die Politik der freien Märkte zum Wohle von Wenigen und zum Schaden der Mehrheit der Menschen in schier ausweglose Situationen bringt. Die etablierten Parteien sind entweder zu Handlangern des Finanz- und Großkapitals geworden oder aber sind - wie die SPÖ - mit der Verwaltung ihres selbst verschuldeten Niedergangs und der Bewahrung ihrer letzten Pfründe so sehr beschäftigt, dass in absehbarer Zeit keine entscheidende Änderung der herrschenden Politik zu erwarten ist.

 

Umso wichtiger ist es, dass sich die Bürger organisieren und gemeinsam im Rahmen ihrer demokratischen Möglichkeiten Druck auf die herrschende Politik ausüben. Wahlgemeinschaften mit einigen wenigen, aber entscheidenden Forderungen, sind nach wie vor eine Option, die Kräfte zu bündeln und diesen Druck zu erzeugen. Volksabstimmungen sind das demokratische Mittel schlechthin, um Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben die Weichen gestellt und werden die Richtung beibehalten. Andere sind eingeladen, unserem Beispiel zu folgen.

 

Gerhard Kohlmaier, Dezember 2019