Aktuelles Thema, 1.9.2014: Eine nachhaltige Steuerreform ist kein Kunststück, aber eine Überlebensfrage für die Regierung Drucken

 

Eine nachhaltige Steuerreform ist kein Kunststück, aber eine Überlebensfrage für die Regierung

Lassen Sie mich diesen Kommentar mit einigen aktuellen Daten und beeindruckenden Zahlen beginnen, bevor ich auf die derzeit stattfindende Diskussion über eine Steuerreform eingehe und Vorschläge zu einer raschen und nachhaltigen Umsetzung einer solchen Reform unterbreite:

Aktueller Schuldenstand der Republik: 249 Milliarden Euro

Pro-Kopf-Verschuldung vom Baby bis zum Greis: € 33.300.-

Pro-Kopf-Verschuldung pro Arbeitnehmer: € 59.500.-

Jährliche Zinsaufwendungen für die Staatsschulden: 8,2 Milliarden Euro (www.staatsschulden.at, 30.8.2014)

Arbeitslose Menschen: 400 000 (AMS)

Beschäftigte: 3 595 000 (Osterr. Sozialversicherung)

Armuts- und ausgrenzungsgefährdete Menschen: 1 500 000, also fast 20%  (Stand 2012, Statistik Austria)

Durchschnittsnettomonatseinkommen der unselbständigen Männer 2013: € 1991.-

Durchschnittsnettomonatseinkommen  der unselbständigen Frauen 2013: € 1537.- (Statistik Austria)

Durchschnittspension von Unselbständigen 2012 (mtl.): € 1114.- (Hauptverband der Sozialversicherung)

 

In Bezug auf die Verteilungsfrage der volkswirtschaftlich getätigten Wertschöpfung über einen längeren Zeitraum ergibt sich seit vielen Jahren eine längst bekannte Verteilungsungerechtigkeit, die sich zudem zu Lasten der kleinen und mittleren Einkommen drastisch verschärft:

So haben zwischen 1976 und 2012 die Kapitaleinkommen (Gewinne und Einkommen aus Vermietung und Verpachtung) um 150% zugenommen, die Arbeitseinkommen hingegen sind im selben Zeitraum nur um 84% gestiegen (WIFO). Nach Berechnungen der AK besitzen die ärmsten 50% der Bevölkerung derzeit rund 2,18% des Gesamtvermögens, die reichsten 50% hingegen über 97%. Die reichsten 10% der Bevölkerung besitzen 69% des Gesamtvermögens (AK Wien, Bestände und Vermögen in Österreich)

Trotzdem tragen jene 10% der österreichischen Haushalte, die nur über ein Einkommen von bis zu € 1797.- beziehen mit 37% ihres Einkommens zum Gesamtwohl teil: 2% Lohnsteuer, 15% Sozialversicherung, 19% Verbrauchssteuern (WIFO)

Der Anteil an vermögensbezogenen Steuern am BIP ist in Österreich extrem gering. Er beträgt nur 0,5% des BIP, während er im OECD-Durchschnitt 1,8% und im EU-Durchschnitt sogar 2,1% beträgt (AK).

Die reichsten 10% der österreichischen Haushalte verfügen über 69% des Nettovermögens und ca. 65% des gesamten Immobilienvermögens, während 40% der Bevölkerung überhaupt keine Immobilie besitzen (OeNB, Vermögensstudie Linz).

Diese Zahlen belegen, dass die österreichische Innenpolitik bzw. deren Protagonisten seit langer Zeit säumig sind. Die Regierungen dieses Landes haben es in den letzten Jahren nicht nur verabsäumt die Verschuldungssituation des Staates deutlich einzugrenzen - im Gegenteil - diese wurde und wird durch staatliche Beihilfen und Haftungen für Banken, Spekulanten und  Großkonzerne, Zahlungen für hochriskante Finanzgeschäfte von Gemeinden und Ländern aus dem Steuertopf noch um Milliardenbeträge erhöht, sie haben sich zudem - ohne das Volk zu befragen - in vielerlei Hinsicht unter das Diktat einer EU-Politik begeben, welche nur mehr im Interesse des Finanz- und Großkapitals handelt.


In allen Bereichen des Staates gibt es Baustellen, auf denen die politischen Akteure gar nicht oder wie ahnungslose Pfuscher agieren, einzig und alleine nach taktischen Prinzipien vorgehend, um ihre Macht zu sichern oder zu erhalten: die Probleme im Wissenschaftsbereich, in der Bildungspolitik, in der Steuerpolitik, der Justiz, in der Verwaltung, der Sicherheitspolitik, der Infrastruktur u.a.m. sind Beispiele dafür. Lobbyismus und Korruption an allen Ecken und Enden des Staates haben in beängstigender Weise zugenommen und fügen dem Land und seinen Bewohnern schwere Schäden zu.

Wie wenig die realen Probleme des Landes und wie sehr die machtpolitischen Überlegungen eine Rolle im politischen Regierungsalltag spielen, lässt sich nicht zuletzt auch am Rücktritt des Vizekanzlers und ÖVP-Parteiobmanns ablesen, der allerdings - genauso wie sein rotes Gegenüber Faymann eine Regierungskonstellation eingegangen ist, in welcher der Stillstand vorprogrammiert war. Macht- und Postenschacher sowie Klientelpolitik standen und stehen sowohl bei SPÖ als auch bei der ÖVP im Vordergrund, nicht eine vernünftige Arbeit im Interesse des Landes, im Interesse der Mehrheit der Bürger.

Auf diesem Hintergrund ist auch die derzeitige Diskussion über eine Steuerreform zu sehen. Einig ist sich die Regierungskoalition darin, dass es eine solche geben soll. Nein, beide Parteien wissen, dass es eine geben muss, haben sie doch die Mehrheit des Volkes in den letzten Jahren derart drastisch entrechtet, hinters Licht geführt und ausgeplündert, dass sie aufgrund dieser Politik in die politische Bedeutungslosigkeit abzurutschen drohen, weil selbst die eingefleischtesten Parteigänger unter den Wählern das Gefühl nicht mehr loswerden, dass sie sich ihrer Verliererrolle nur mehr dadurch entledigen können, indem sie einen Wechsel in der parteipolitischen Ausrichtung in Erwägung ziehen. Der Krug geht eben nur so lange zum Brunnen, bis er bricht. Da hinter den derzeitigen Regierungsakteuren jedoch bereits die nächsten warten, die diesen Regierungsstil ebenfalls bestens beherrschen werden, ist selbst diese scheinbare Neuausrichtung nicht mehr als Blendwerk.

So droht nun auch diese längst fällige Steuerreform zu einer Politfarce zu entarten, und zwar weil es der Regierung dabei nicht um eine nachhaltige, sinnvolle und gerechte Änderung dieses Steuersystems geht, sondern einzig und allein um eine kurzfristige, oberflächliche Beruhigungspille für das Wahlvolk, denn vielleicht kann man dieses mit einigen kurzfristigen Maßnahmen doch noch für einige Zeit bei (Wahl)Laune halten!

Schon die Herangehensweise an das Problem zeugt von dieser Absicht. Will man die Profiteure des derzeitigen Steuersystems bei Laune halten - und das sind eindeutig die hohen Einkommensbezieher und die Vermögenden - und ihre Vermögenszuwächse weiterhin sichern, und ich behaupte, dass man das will, so muss man sich überlegen, wie man eine Lohnsteuerreform anlegt, bei der im Endeffekt den Systemverlierern, dem Großteil der Arbeitnehmer, das, was man ihnen mit der einen Hand gibt, mit der anderen wieder genommen wird. Und zwar möglichst so, dass sie es möglichst nicht merken, denn sonst ist zumindest deren Wahllaune nicht wiederzuerwecken.

Eine Gegenfinanzierung einer Lohnsteuersenkung durch eine Anhebung der Grundsteuer birgt diese Gefahr in sich. Wobei ich prinzipiell der Ansicht bin, dass eine Grundsteuerreform anstünde, aber bei einer Husch-Pfusch-Lösung ist zu erwarten, dass sich die Lohnabhängigen, auch dann wenn sie keinen Grundbesitz vorweisen können, die Lohnsteuersenkung über z.B. höhere Mieten selbst zahlen. Wie gewonnen, so zerronnen. Das ist es, was eine Steuerreform so kompliziert werden lässt.

Betrachtete man die Lastenverteilung und die faktischen Zahlen, so wäre eine Steuerreform ein einfaches Unterfangen. Selbstverständlich ist eine tatsächliche Vermögensbesteuerung mehr als überfällig, und zwar muss sowohl das Vermögen jenseits eines Freibetrages von ca. € 500 000 bis € 700 000 besteuert werden als auch der Vermögenszuwachs.

Eine von der AK in Auftrag gegebene Studie der Universität Linz berechnet die dadurch erzielbaren Steuereinnahmen bei einem gestaffelten Vermögenssteuersatz von 0,5% auf Vermögen zwischen 700000 und 2 Mio, von 1% zwischen 2 und 3 Mio und von 1,5% auf Vermögen über 3 Mio Euro auf ca. 7 Milliarden Euro. Selbst bei hypothetischen „Ausweicheffekten“ würden die Einnahmen immer noch 5,4 Milliarden Euro ausmachen. Man könnte also alleine durch eine moderate Vermögensbesteuerung eine Lohnsteuersenkung, die zwischen 4 und 6 Mrd. € kosten dürfte, finanzieren. Und die ÖVP-Mär, dass davon die Kleinen und der Mittelstand getroffen würden, ist so genauso unsinnig wie das Schüren von Ängsten, die Vermögenden würden dann das Land verlassen oder ihr Geld woanders versteuern. Ja wo denn, wenn in allen europäischen und den OECD-Ländern die Vermögenssteuern dann immer noch höher als in Österreich sind?


Zudem wäre eine Vermögensbesteuerung ein Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, wenn die, die durch das System immer reicher geworden sind, weil sie steuerlich geringer belastet wurden, endlich auch ihren Beitrag zum Gesamtwohl aller leisten und jene spürbar entlasten, die bisher die Hauptsteuerlast getragen haben. Nicht zuletzt ist sie auch deshalb gerechtfertigt, da es die Vermögenden sind, welche den Staaten in ihren derzeitigen Finanznöten Gelder zur Verfügung stellen (z.B. in Form von Anleihen), welche die Zinslast des Staatshaushaltes erhöhen und solcherart neue Abhängigkeiten schaffen, statt vorhandene Steuereinnahmen für dringende Investitionen im Bildungs-, Sozialbereich usw. investieren zu können. Auch das so häufig gehörte Argument, dass Vermögen doch schon einmal besteuert wurde und deshalb eine Vermögensbesteuerung ungerecht sei, ist in keiner Weise haltbar. In unserem Wirtschaftssystem ist die Doppelbesteuerung gang und gäbe. Auch alle, die bereits Lohnsteuer bezahlt haben, zahlen beispielsweise bei jedem Einkauf Umsatzsteuer.

Eine weitere, längst fällige Maßnahme in unserem Steuersystem ist die Änderung der Sozialversicherungsbeiträge, die über der Höchstbeitragsgrundlage von € 4400.- im Monat liegen. Für Einkommen, die darüber liegen, müssen in Österreich nämlich keine Beiträge bezahlt werden, was dazu führt, dass die Gesamtbelastung (also Steuern und Abgaben) bei höheren Einkommen sinkt. Absurd. Während in nahezu allen OECD-Staaten die Abgabenlast kontinuierlich mit der Einkommenshöhe steigt, gehört Österreich auch diesbezüglich zu einem Schlaraffenland für Vermögende. Eine Änderung ist, wenn sie politisch gewollt wird, von heute auf morgen möglich.

Unzumutbar in unserem Steuersystem ist auch die Tatsache, dass die Steuerstufen nicht an die Inflation angepasst werden. Das führt dazu, dass z.B. trotz Lohnerhöhung netto weniger im Börsel bleibt, weil man in eine höhere Steuerstufe gerutscht ist und dem Arbeitnehmer nach Abzug der Inflation sogar weniger bleibt als vor der Lohnerhöhung. Diese sogenannte „kalte Progression“ wirkt natürlich auch bei Besserverdienern. Da bei diesen jedoch ab € 4400.- die Sozialabgaben nicht mehr ansteigen, können sie diesem ungerechten Phänomen noch eher entkommen als Durchschnittsverdiener, weil sie dadurch wenigstens einen Teil der Lohn- oder Gehaltserhöhung retten können.

Dieser steuertechnische Trick der „kalten Progression“ kommt natürlich vor allem dem Finanzminister zugute, denn dessen Lohnsteuereinnahmen steigen dadurch jährlich, ohne dass es eine Erhöhung geben muss. Jede Lohnerhöhung ist somit von einer Art stillen Enteignung begleitet. Dem Phänomen ist durch eine automatische Inflationsanpassung leicht beizukommen, die dadurch fehlenden Einnahmen für den Finanzminister lassen sich beispielsweise durch eine Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage bei den Sozialversicherungsbeiträgen und einer allfälligen Umschichtung dieser zusätzlichen Einnahmen kompensieren.

Schließlich ist es in einer Zeit, in welcher die großen Firmen und Konzerne dem Staat durch ihre „Rationalisierungsstrategien“ immer größere Lasten in der Arbeitslosenproblematik aufbürden, während sie selbst durch diese Maßnahme und Automatisierung und Technisierung ihre Gewinnspannen erhöhen, notwendig, die Lohnsummenbesteuerung durch eine Wertschöpfungsabgabe zu ersetzen. Diese langjährige Forderung der „Steuerini“ (Nähere Ausführungen dazu finden Sie unter: http://www.steuerini.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=16&Itemid=19) würde die Bemessung der Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung sowie der Kommunalsteuer endlich auf neue, gerechtere Beine stellen und arbeitsintensive Betriebe entlasten.

Faymann und die SPÖ sind gut beraten, dem neuen Finanzminister und der ÖVP diese Vorschläge aufzuzwingen oder den Bruch der Koalition zu riskieren, denn es ist wohl die letzte Chance, wie sie ihr Wählerpotential langfristig sichern und erweitern können. Die Alternative ist letztlich das Absinken in die politische Bedeutungslosigkeit dieses Landes.

Aber auch die ÖVP bekäme durch eine Umsetzung der skizzierten Reform so etwas wie eine letzte Überlebenschance. Dessen sollten sich die Protagonisten beider Parteien bewusst sein. (Gerhard Kohlmaier, 1.9.2014)