Woko vom 8.1.2017: Eine Revolution liegt in der Luft Drucken

„Es liegt in den Industrieländern eine Art Revolution in der Luft...Eine Umwälzung, die bestehende Besitzstände durchaus ernsthaft bedroht...Und der Grund für diese aufkeimende Revolution ist auch leicht zu verorten: Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen passen mit der wirtschaftlichen Realität nicht mehr zusammen.“

(http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/diebilanz/5140650/Wir-stehen-am-Vorabend-einer-Revolution?from=suche.intern.portal)

Kein Geringerer als der konservative Wirtschaftsjournalist der „Presse“, Josef Urschitz, fällt diese gesellschaftspolitische Situationsanalyse gegen Ende des Jahres 2016, am 30.12.2016, in seinem Kommentar „Einkommen: Wir stehen am Vorabend einer Revolution“.

Urschitz prognostiziert das Ausbrechen eines „wilden Verteilungskampfes“, weil nahezu alle Vorschläge in „bestehende Besitzstände“ eingreifen würden, die Diskussion darüber sei jedoch dringend notwendig, wenn man nicht wolle, dass der Kessel explodiere.

Tatsächlich enthält die derzeitige gesellschaftliche Situation in Österreich, Europa, aber auch in zahlreichen anderen Ländern dieser Erde eine Sprengkraft, welche nur mehr einer Bündelung bedarf, um zur Explosion gebracht zu werden:

Auf der einen Seite haben wir es mit einer hohen Zahl von Arbeitslosen, sinkenden Einkommen für den Großteil der Arbeitnehmer, zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnissen, die charakteristisch für die Arbeitsmarktsituation zahlreicher Bürger sind, zu tun. Die Finanzierung der Sozialsysteme wird für die Staaten immer mehr zu einem unlösbaren Problem, weil einerseits der Bedarf steigt (Krankheits- und Pflegekosten, Arbeitslosengelder, Pensionen, Asylproblematik usw.), andererseits die Steuereinnahmen - auch wenn sie derzeit z.B. in Österreich gestiegen sind - diesen erhöhten Bedarf nicht mehr decken können.

Doch zahlreiche Bürger sind nicht nur mit einer Senkung ihrer materiellen Lebensgrundlagen konfrontiert, sondern auch mit einem steigenden Unsicherheitsfaktor, was ihre zukünftigen Lebenschancen bzw. die ihrer Kinder betrifft.

Auf der anderen Seite der gesellschaftlichen Entwicklung stehen die Profiteure des Systems. So besitzt das reichste Prozent der Österreicher 37%, die reichsten 5 Prozent 57,8% des Gesamtvermögens, während die ärmsten 50% nur 2,2% des gesamten Vermögens besitzen.

Europa- und weltweit ist die Verteilungsfrage im Wesentlichen noch krasser. Die reichsten 62 Menschen der Welt, die globalen Eliten, besitzen zusammen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (Oxfam-Studie). Während das Vermögen des Großteils der Weltbevölkerung in den letzten 5 Jahren gesunken ist, nahm jenes der Reichen beständig zu,im Falle der 62 reichsten Menschen um immerhin 44%. Sie und ihresgleichen sind es auch im Wesentlichen, welche die politischen Prozesse weltweit zu ihren Gunsten zu steuern verstehen. Und die etablierte Politik hat dem kaum etwas entgegenzusetzen.

Urschitz hat Recht, wenn er von einem „wachsenden Prekariat ohne große Zukunftsperspektiven“ spricht. Er sieht eine mögliche Lösung der Problemlage in einer Art von bedingungsloser Grundsicherung, wie sie derzeit in Finnland erprobt wird. Sie sieht vor, dass das Grundeinkommen von 560 Euro auch dann erhalten bleibt, wenn man wieder Arbeit gefunden hat. Diese Art des Grundeinkommens ist ein Versuch aus einem Antianreizsystem eines Grundeinkommens auszubrechen und es zu einem Anreizsystem umzugestalten. Allerdings wird diese Form der Sicherung auch eine Umgestaltung des gesamten Sozialsystems zur Folge haben müssen.

 

Neugestaltung scheint überhaupt das Zauberwort zu sein, welches nottut. Neugestaltung von politischen Prozessen, von systemischen Rahmenbedingungen, von wirtschaftspolitischen Leitlinien, von Finanzplätzen und deren Geschäftstätigkeiten, von Verteilung der erzielten Wertschöpfung, von Steuergesetzen. Einen besonderen Stellenwert muss dabei jedoch auch eine Form von Beteilungsgerechtigkeit einnehmen, die über die Verteilungsgerechtigkeit hinaus die Menschen wieder in die Lage versetzt an der Gestaltung des eigenen und des gesellschaftlichen Lebens aktiv teilzunehmen. Der Schlüssel dazu kann nur eine Bildungspolitik sein, welche sich vollkommen neu auszurichten hat, sowohl was die Bildungsziele betrifft als auch die Bildungschancen. Ohne diese Neugestaltung wird die von Urschitz prognostizierte Revolution in der ein oder anderen Form nicht zu verhindern sein.

 

Gerhard Kohlmaier