24.11. Wochenkommentar: Offener Brief an den Autor und Lehrer Niki Glattauer Drucken

 

Offener Brief an den Autor und Lehrer Niki Glattauer

Wien, 24. November 2013

Sehr geehrter Herr Glattauer!

Am 24.11. erschien im „Kurier“ ein Interview mit Ihnen unter dem Titel „Glattauer: Streikdrohung ist eine Frechheit“ (http://kurier.at/politik/inland/glattauer-streikdrohung-ist-eine-frechheit/37.224.204). Ihre Art der Argumentation halte ich aus vielerlei Gründen für problematisch und ich nehme dazu daher wie folgt Stellung:

Den Widerstand der Gewerkschaft und der vielen Lehrer gegen das neue Lehrerdienstrecht u.a. deshalb abzulehnen, weil dieses ja „nur für junge Lehrer ab 2019“ gelte, zeigt, dass Sie nicht verstanden haben, dass dieses Dienstrecht wesentliche Bedingungen, unter denen eine Schule in der Zukunft arbeiten wird, regelt. Es geht dabei also nicht darum, dass Lehrer wie Sie davon betroffen wären - Ihr Gehalt bleibt, das sehen Sie wohl richtig - ungeschoren. Aber es geht um ein zukünftiges Schulsystem, dessen Qualität durch dieses Lehrerdienstrecht, entscheidend verschlechtert wird.

Wenn Sie dem neuen Dienstrecht die Gesamtnote „Gut“ geben und dies vorrangig damit begründen, dass dadurch endlich Pflichtschul- und AHS-Lehrer „auf ein Niveau gestellt werden“, dann unterstreichen Sie damit meinen Verdacht, Ihre Argumentation findet in erster Linie im Sinne einer Klientel statt, zu deren Vertretung Sie sich offenbar berufen fühlen: den Pflicht- und Hauptschullehrern. Das ist an sich nichts Unehrenhaftes: Problematisch wird es für mich aber dann, wenn diese Motivation offenbar einem Minderwertigkeitskomplex entspringt, weil sie die Bildungsaufgabe einer AHS-Oberstufe mit der einer Hauptschule gleichsetzen, wenn Sie allen Ernstes glauben, dass das Nichtkorrigieren von Hausübungen oder Schularbeiten einen Gradmesser für eine moderne Pädagogik darstellt. Offensichtlich halten Sie dann wohl auch gezielte Unterrichtsvorbereitungen für überholt.

Sie erkennen auch nicht, dass es nicht die Frage von Aufnahmsprüfungen in den Gymnasien wäre, welche die „Zwei-Klassen-Gesellschaft auseinandertriften“ lässt, sondern gerade dieses neue Dienstrecht, welches ein Einsparungspotential ungeheuren Ausmaßes, sowohl an Geld als auch an anderen Ressourcen (z.B. Zeitkonto für den einzelnen Schüler), im zukünftigen Schulwesen darstellt. Österreich ist nach der aktuellen OECD-Studie bereits jetzt Schlusslicht unter allen OECD-Ländern, was die Bildungsausgaben betrifft. Dieses Dienstrecht ist es, was die Entstehung von Privatschulen zur Folge haben wird. Natürlich werden diese nur für jene offen stehen, die sich diese Schulen auch leisten können.

Sind Sie sich bewusst, wovon Sie sprechen, wenn Sie behaupten, die Lehrer müssten „der Realität ins Auge sehen“ und daher Gehaltseinbußen bei gleichzeitiger Erhöhung ihrer Arbeitszeit hinnehmen. Beim Vergleich der Einkommen von Lehrern und anderen Akademikern nach 15 Berufsjahren liegen die österreichischen Lehrer weit unter dem OECD-Durchschnitt (In Deutschland verdienen sie gleich viel, im OECD-Durchschnitt 85% des durchschnittlichen Gehalts anderer Akademiker, in Österreich beträgt der Prozentsatz jedoch nur 62%. OECD (Hrsg.), Government at a Glance, 2013, S. 378). Das ist die Realität, Herr Glattauer. Diese jedoch ignorieren Sie, wenn Sie einer noch flacheren Gehaltskurve das Wort reden. Mir stellt sich daher die Frage, in wessen Interesse sie eigentlich agieren, wenn Sie Ihre Weisheiten unter das Volk bringen.

Ihre Kritik an den in Aussicht gestellten Kampfmaßnahmen der Gewerkschaft kann ich trotz eigener Vorbehalte der gewerkschaftlichen Arbeit in einigen inhaltlichen und taktischen Fragen ebenfalls nicht teilen. Die Gewerkschaft hat nie den Eindruck erzeugt, Lehrer würden nur 20 bis 24 Stunden arbeiten. Sie haben vielmehr ständig darauf hingewiesen, dass ihre Jahresarbeitszeit durchaus der anderer Berufsgruppen entspricht, sie vielleicht sogar übersteigt. Vielmehr waren das die herrschenden Politiker und die Medien, welche das Lehrerbild nachhaltig geschädigt haben. Aber auch Lehrer wie Sie tragen durch ihre undifferenzierte und unsachliche Art der Problemdarstellung nicht unwesentlich zum schlechten Image, das die Lehrer in der Bevölkerung haben, bei. Schließlich springen Sie auch noch auf das medial kolportierte, den Gewerkschaften unterstellte „Blockiersyndrom“ auf, ohne sich zu fragen, wie sehr sich der Verhandlungspartner bei den Gesprächen bewegt hat. Dass Sie sich dabei politisch instrumentalisieren lassen, halte ich für möglich.

Wenn Sie an Ihrer Schule dafür sorgen wollen, „dass kein Schüler etwas von den Kampfmaßnahmen merken wird“, halte ich das einerseits für begrüßenswert, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Ihre wohl damit verbundene Darstellung der Problemlage jungen Menschen gegenüber zu verantworten ist, andererseits finde ich es aber auch schade, dass Sie damit Ihren Schülern quasi einen Maulkorb in zentralen demokratiepolitischen Fragen umhängen.

Gerhard Kohlmaier