Wochenkommentar vom 22.9.2013: Wen ich wähle Drucken

In wenigen Tagen soll ich zur Wahlurne schreiten. „Wählen ist Bürgerpflicht in einer Demokratie“, sagen viele meiner Freunde und Bekannten, „ auch wenn es rechtlich keine Pflicht ist.“ Es gehört sozusagen zum guten Ton. Das behaupten ja schließlich auch alle Parteien, die im Moment um die Stimmen der Wählerschaft buhlen. Das Volk, so die einhellige Meinung, soll entscheiden.

Was eigentlich?

Familie kontra Schwule, Lesbische und Patchwork, Wirtschaft gegen Soziales, Tüchtigkeit als Arbeitermilliardär kontra Staat, oder noch schwieriger: Schneller Bildungsabbau gegen einen etwas hinausgezögerten, drastischer Gesundheits- und Sozialabbau gegen etwas weniger rasanten Gesundheits- und Sozialabbau, ...

Das ist nicht nur eine schwierige Entscheidung, es ist schlicht eine unmögliche. Unsere Parteienlandschaft ist unisono geworden, die Parteien singen dieselbe Melodie, unterscheidbar einzig und allein durch die Oktaven des Klanges. Gemeinsam schwindeln sie sich an den wirklich interessanten Themen, welche für die Zukunft der Menschen wesentlich sind und diese prägen werden, vorbei. Etwa um die Frage, wie wir in Hinkunft mit Verlusten durch spekulatives Kapital verfahren werden. Offensichtlich sollen sie nach wie vor den Steuerzahlern umgehängt werden. Aber auch die Frage, wie ein Wirtschaften, eine neue Form von Ökonomie, die zum Wohle der Menschen und nicht zur Vermögensvermehrung einiger weniger da ist, in der Zukunft aussehen soll, wird ausgeklammert. Werden die Parteien beim weiteren Abbau der Arbeitnehmerrechte, wie sie von der EU vorgesehen sind, wie bisher mitmachen? Die so hochgelobten Fernsehduelle in ihrer unverbindlichen, das Wahlvolk vernebelnden Aussagekraft geben keine Antworten auf diese und andere fundamentale Fragen.

Alle Parteien haben den Schulterschluss mit dem Kapital, dem angeblich so scheuen Reh, vollzogen, das Finanzkapital ist längst zu einer heiligen Kuh geworden, die herrschende Politik hat sich davon abhängig gemacht und alle wesentlichen Handlungsspielräume aufgegeben. Gemeinsam haben sie dafür gesorgt, dass dessen Machteinfluss nicht vermindert, sondern vergrößert wurde. Größtmögliche Freiheit für das Finanzkapital, Zwangsmaßnahmen für das Volk! Selbst in Zeiten der Krise wurde dieser Kurs fortgesetzt, die Bürger zahlen die Zeche für die Gier des Kapitals, und sie werden so lange dafür zahlen, als sie weiterhin diese Parteien wählen. Alle arbeiten sie seit Jahren am schleichenden Abbau der Rechte von ArbeitnehmerInnen mit, am Abbau des Sozialsystems, am Abbau der Demokratie.

Sich unter solchen Bedingungen für eine Partei zu entscheiden, wäre eine Entscheidung gegen den Staat als Gemeinwesen, gegen die menschliche Vernunft, gegen die Zukunft.

Ich soll und werde also zur Wahlurne schreiten, meiner Bürgerpflicht nachkommen, und ich werde entscheiden, dass unter den gegebenen Bedingungen keine bei dieser Wahl antretenden Parteien mein Vertrauen verdient. (Gerhard Kohlmaier)