Akt.Kommentar vom 16.9.21: Ist der Pluralismus am Ende? Drucken E-Mail

Ist der Pluralismus am Ende?

Wir leben angeblich in einer pluralistischen Gesellschaft, und das scheint allgemein anerkannt. Allerdings setzt ein funktionierender Pluralismus in einer Demokratie auch voraus, dass die Machtverhältnisse unter den miteinander konkurrierenden Protagonisten einer pluralistischen Gesellschaft auch annähernd gleich verteilt sind. Dadurch wird eine ernstzunehmende Diskussion der unterschiedlichen Erklärungsmuster unseres Daseins überhaupt erst gewährleistet.

Garanten für einen funktionierenden Pluralismus ist daher nicht nur die Meinungsfreiheit an sich, sondern insbesondere die politischen, sozialen, kulturellen und nicht zuletzt medialen Machtverhältnisse in einem Staat. Gradmesser für eine akzeptable Verteilung dieser Machtverhältnisse sind jedoch weniger die institutionellen Rahmenbedingungen als vielmehr die daraus entspringende Diskussion und deren Transparenz für alle Bürger.

Um diese wichtigen Parameter ist es in unserem Lande allerdings alles andere als gut bestellt.

Das Vertrauen der Bevölkerung in die etablierte Politik ist zutiefst erschüttert, und das zu Recht. Nicht nur die Verteilung der Machtverhältnisse führt hier zu Dissonanzen, vielmehr ist es die Art der Machtausübung bzw. des Machtmissbrauches, welche die Bürger abschreckt.

Im sozialen Bereich fehlt es nicht nur an Geld hinten und vorne, jahrelang wurden Zukunftsplanungen sträflich vernachlässigt, und dies nicht nur im Pflege- und Gesundheitsbereich. Gebe es nicht noch eine so hohe Bereitschaft von Teilen der Bevölkerung, sich sozial freiwillig und ohne finanzielle Gegenleistung zu engagieren, es würden viele soziale Netze reißen. Dennoch nehmen die Sozialkonflikte in unserer Gesellschaft nicht nur drastisch zu, sondern für immer mehr Menschen geht es einfach ums Überleben und die Politik bietet dabei so gut wie keine Hilfestellungen, sondern sorgt ihrerseits für die Verschärfung von Konflikten.

Die kulturelle Welt scheint auch nur auf den ersten Blick noch halbwegs in Ordnung zu sein. Sieht man genauer hin, so hat sich ein Bereich der staatlich unterstützten Vorzeigekultur herausgebildet, in dem ebenfalls Beziehungen, Lobbyismus und Machtverhältnisse das kulturelle Überleben sichern.

Der Begriff der Kultur als Möglichkeit der Orientierung sowie Lebens- und Umweltbewältigung ist dadurch ebenfalls sehr einseitig bestimmt und leidet am pluralistischen Mangelerscheinungen.

Der überwiegende Teil der Medien hat längst die Aufgabe übernommen die aktuellen Machtverhältnisse, deren Verteilung und mangelhafte Transparenz anzuerkennen und kritiklos widerzuspiegeln. Sie sind längst Teil der Problematik, garantieren weder fruchtbare Diskussionen noch tragen sie zu einer wirklichen Transparenz der Geschehnisse bei.

Die pluralistische Gesellschaft existiert immer mehr am Papier und wird immer weniger bestimmend für die zukünftige Entwicklung unseres Lebens und unserer Umwelt im weitesten Sinn des Wortes. Monistische Theorien und deren Umsetzung in der gesellschaftlichen Praxis übernehmen zunehmend diese Zukunftsgestaltung.

Die einzige Chance diesen fragwürdigen Pluralismus zu durchbrechen und zu Entscheidungsgrundlagen für die eigene Lebensführung zu gelangen erscheint mir im Individualismus des Einzelnen zu liegen. Im Sinne von Kant ist es heute mehr als je zuvor notwendig, den „Mut“ aufzubringen, sich des „eigenen Verstandes zu bedienen“ oder im Sinne von Sir Karl Popper „selbst zu den Schöpfern unseres Geschicks“ werden.