Woko vom 9.12.: Alles ungewiss Drucken E-Mail

In Frankreich gehen Menschen massenweise auf die Straße. Sie sind zornig, wütend, verängstigt, was ihre Zukunft betrifft. Und sie beginnen sich zur Wehr zu setzen. Wogegen genau ist auf Grund des Mix von Angst, Wut und Zorn nicht so genau zu bestimmen. Aber eines scheint gewiss: Sie beginnen sich gegen eine Politik zu wehren, welche der Mehrheit der Bevölkerung immer wieder die Zeche für all das präsentiert, was die Profiteure des Systems verursachen. Das wollen sie im Wesentlichen nicht mehr hinnehmen. In Holland und in Belgien gibt es ebenfalls die ersten Demonstrationen. Ob ein europäischer Flächenbrand daraus wird, ist derzeit noch ungewiss, aber angesichts der Problemlagen, welche uns in den nächsten Jahren erwarten, anzunehmen.

Da ist einerseits die Verteilungsfrage des volkswirtschaftlich Erwirtschafteten. Regierungen und deren neoliberal ausgerichtete Politik haben dafür gesorgt, dass dieses zum überwiegenden Teil einigen wenigen zugute kommt, sodass - abhängig von den konkreten Bedingungen im jeweiligen europäischen Land - wenige Prozent der Bevölkerung an die zwei Drittel des Volksvermögens besitzen.

Die Politik im Interesse der Konzerne hat zur Vernichtung von Strukturen in allen gesellschaftlichen Bereichen geführt, welche den Menschen bisher einen bestimmten Grad von Sicherheitsgefühl geboten haben. Dieses Sicherheitsgefühl ist weg, Bauern- und Greißlersterben, Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsbereichen, intransparente Institutionen und Machtmechanismen haben zu einer neuen Art der Entfremdung der Menschen - sowohl vom Produkt als auch von sich selbst als Subjekt - geführt.

Eine Finanzpolitik, welche seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 kaum systemverändernd eingegriffen hat, was die nächste Krise heraufbeschwören wird, Finanzeliten, welche Regierungen weltweit für ihre spekulativen Interessen einspannen, schüren zu Recht Zukunfts- und Existenzängste von all jenen Menschen, die ihr Auskommen mit ihrem Einkommen aus Arbeit fristen müssen.

Neue machtpolitische Verhältnisse weltweit, die Krise der Europäischen Union, die neue Wirtschaftsmacht China und die Rückkehr einer Politik zwischen den Weltmächten, welche an den Kalten Krieg erinnert, schüren zudem neue Ungewissheiten.

Eine sich anbahnende weltweite ökologische Katastrophe bedroht zudem den letzten Rest an etablierter Sicherheit im ganz privaten Bereich, welcher geraume Zeit noch abseits der Welt der Märkte und des Finanzkapitalismus und deren Folgen als Refugium für viele Menschen diente. Aber in Zeiten von zunehmenden Wetterkapriolen, Trockenperioden gefolgt von Überschwemmungen, zunehmenden Waldbränden und anderen Unwetterkatastrophen ist selbst dieser private Rückzugsort gefährdet.

Aber zunehmend werden die Menschen auch deshalb wütender, weil ihr Einfluss auf das politische Geschehen drastisch gesunken ist, Demokratie sich zur Scheindemokratie gewandelt hat, welche bereits hie und da diktatorische Züge annimmt. Die Mehrheit der Menschen hatte und hat nicht die Möglichkeit, an den wesentlichen Prozessen der Gestaltung einer zukünftigen Welt teilzunehmen.

 

In dieser Situation ist es kein Wunder, wenn die Bürger auf die Straße gehen. Heute in Frankreich, morgen vielleicht in anderen europäischen Ländern. Ob die etablierte Politik dieses Warnzeichen verstehen wird, ist mehr als fraglich, denn allzu sehr fühlen sich deren Protagonisten dem von ihnen geschaffenen Weltsystem und den darin Agierenden verpflichtet, nicht aber der Mehrheit der Bürger. In welche Richtung der Protest der Bürger führen wird, ist aber ebenso ungewiss wie die Reaktion darauf.