Woko vom 21.5.: Christian Ortners Analyse geht am Kern der Sache vorbei Drucken E-Mail

Christian Ortner spricht in seinem Kommentar vom 15.5. in der Wiener Zeitung von einem „ökonomischen Klimawandel“, welcher Europas Wähler zunehmend in die Hände von weniger stabilen Parteien treibe. Der „zornige Wähler“ leide dabei vor allem darunter, dass  er „spätestens seit dem Ausbruch der Finanzkrise“ auf Grund der Budgetsituation der Staaten keine finanziellen Wahlzuckerln mehr erwarten könne und ein „schuldenbasierter Wohlfahrtsstaat“ sein Ende gefunden habe.

Auch wenn die Analyse von Christian Ortner nicht ganz substanzlos ist, so trifft sie dennoch nicht den Kern der Sache.

Tatsächlich hat so etwas wie ein ökonomischer Klimawandel stattgefunden, welcher jedoch seine Grundlage nicht in erster Linie darin hat, dass Staaten ihre Schuldenberge tatsächlich abgebaut haben. Nach Angaben des IWF vom Oktober 2016 ist die Staatsverschuldung in Prozent vom BIP auch seit Beginn der Finanzkrise 2008 in allen europäischen Ländern gestiegen, selbst in Deutschland, wenn auch nur geringfügig. Rechnete man auch die verdeckte Staatsverschuldung mit ein, dann würden die Defizite noch mehr explodieren, sodass von Einsparung überhaupt keine Rede mehr sein kann. Milliarden und Abermilliarden wurden ausgegeben, um die teils irrwitzigen Geschäfte von Banken und Finanzspekulanten auf Kosten der Steuerzahler abzusichern und sie vor Verlusten zu bewahren.

Selbstverständlich ist diese Politik von einem „ökonomischen Klimawandel“ gezeichnet, aber nicht im Sinne Ortners, der in erster Linie einen ausufernden Konsum der Menschen für die Finanzkatastrophe verantwortlich macht und nun sozusagen indirekt von diesen Verursachern eine Art Wiedergutmachung zu verlangen scheint. Diese solle vor allem im Verzicht auf die Errungenschaften des Wohlfahtsstaates bestehen.

In Wahrheit ist der Grund für einen „ökonomische Klimawandel“ jedoch ein völlig anderer. Es ist eine seit Jahren praktizierte Umverteilung des volkswirtschaftlichen Vermögens von unten nach oben. Diese erfolgt einerseits über eine Steuerpolitik, durch die Kapitalgesellschaften und Unternehmergewinne steuerlich klar entlastet, Arbeit bzw. Sozialleistungen deutlich überbelastet wurden. Andererseits führen Währungspolitik von IWF und EZB sowie wieder ansteigende Inflationsraten zu einer Art von schleichender Enteignung der Masse der Bevölkerung, während das billige Geld die Krisenverursacher des Kapitals noch mehr zu ihren riskanten Manövern verleitet. Der Staat selbst fungiert also als oberste Umverteilungsmaschinerie. Es ist jener Staat, von dem sich die Neoliberalen jegliche Einmischung in ihre Machenschaften verbieten, es sei denn, der Staat fungiert als Erfüllungsgehilfe für ihre Interessen und macht ganze Volkswirtschaften zu Handlangern einer ihnen zu Gute kommenden Fiskalpolitik. Darin besteht, abgesehen von der durch die Politik unterstützten Strukturveränderungen im Sinne des Groß- und Finanzkapitals der „ökonomische Klimawandel“, aber nicht darin, dass die Masse der Bevölkerung über ihre Verhältnisse gelebt hat oder lebt.

 

Das ist der Grund, warum es „mit der guten Laune der Wähler vorbei“ ist, warum sie „zornig“ sind, Herr Ortner. Und weil sie seit vielen Jahren erfahren mussten, dass die etablierten Parteien sie und ihre Interessen längst nicht mehr vertreten, sind sie auf der verzweifelten Suche nach Alternativen. Diese Verzweiflung ist ebenso ein Resultat der jahrelangen Falschinformationen wie dem Festhalten an einem in vielen Punkten gescheiterten Wirtschaftssystems und an Institutionen, die jegliche Einflussnahme auf eine Veränderung blockieren, aber letztlich auch eines stattgefunden Demokratieabbaus, durch welchen die Wähler keinen entscheidenden Einfluss mehr auf die Gestaltung politischer Prozesse haben. Leider scheint da der Ruf nach einem starken Mann für viele der einzige Ausweg zu sein. Dieser erscheint in den letzten Wochen an allen Ecken und Enden der Europäischen Union in unterschiedlichen Gewändern, auch in Österreich. (Gerhard Kohlmaier)